Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
dass Rot die dem Donnergott geweihte Farbe ist, das erste Gewitter aber galt als Frühlingsanfang, als Tag des Einzugs von Frau Ostara. Die Osterfeuer, welche in norddeutschen Landschaften angezündet werden, sind die Scheiterhaufen des von dem Frühling besiegten und getöteten Winterriesen, welcher nun verbrannt wird nach altgermanischer Bestattungsweise; Judas Ischariot, der manchmal dabei ins Feuer geworfen wird, ist nur der von der Kirche eingeführte Ersatzmann für den Winterriesen, welcher in andern Gegenden heute noch als zottige Pelzpuppe, mit Schneeschaufel und Schlitten ausgestattet, in die Flammen geschleudert wird, in Festhaltung der ursprünglichen Bedeutung [Fußnote: Über weitere ursprünglich heidnische Gebräuche, die sich bei der Feier von Ostern, Pfingsten und andern christlichen Festen erhalten haben, s. Dahn, Bausteine, I, Berlin 1879, S. 221.] . Noch im späten Mittelalter musste der Pfarrer am Ostersonntag nach der Frühpredigt von der Kanzel herab dem Volk einen Schwank, ein lustig "Ostermärlein" erzählen. Das Volk wollte die Kurzweil nicht missen, welche zu der heidnischen Zeit das Osterspiel gewährt hatte; und so schlugen die Leute denn nun in der Kirche ihr "Ostergelächter" auf.
Dagegen eine Sommer- oder Erntegöttin war Thors Gemahlin Sif [Fußnote: Was immer ihr Name bedeuten mag (nach J. Grimm; Sippe, weil Thors Hammer die Ehe weiht und damit aller Sippe, d. h. ehelicher Verwandtschaft Grundlage?). Eine mehr sinnliche, auf den Ackerbau oder die Ernte bezügliche Deutung hätte aber mehr für sich.] .
Loki schor ihr hinterlistig das Haar ab; jedoch Thor zwang ihn, Ersatz zu schaffen. Da liess Loki von den Schwarzelben in der Erde ihr neue Haare von Gold machen, welche wachsen (und geschnitten werden) konnten wie natürliche; das Getreidefeld, dessen golden wallenden Haarschmuck der scheinbar freundliche, in Wahrheit tückisch schädliche Glutsommer versengt, aber von den geheimnisvoll schaffenden Erdkräften für das kommende Jahr erneut wird.
Vielleicht entsprechen dieser nordischen Erntegöttin unter andern Namen südgermanische: Frau Waud, Frau Wod (d. h. Frau Wodans, = Frigg = Berahta = Holda), Frau Freke (deutlich Frigg), auch wohl Stempe, Trempe (wegen des stampfenden Fusses, reine pédauque). Pflugschar und Egge, auf denen sie gern im Ackerfeld sich niederlässt, sind ihr geweiht; sie ist unverkennbar eine Schützerin des Ackerbaues, Gewährerin des Erntesegens, eins mit Frigg in dieser Bedeutung der hausfräulichen Göttin, oder sie ist diese eine Seite von Frigg, losgelöst und selbständig personifiziert. Auch wohl Erka, Frau Erke, Frau Herke, Frau Harke heisst sie und führt den Rechen, die Harke, womit die geschnittenen Schwaden zusammengeharkt werden [Fußnote: Mit Attilas Gemahlin Helke, auch Herkja, hat sie nichts zu schaffen; wenn sie manchmal mit Schwert und Schild dargestellt und als tapfere Verteidigerin der Heimat gefeiert wird (in historischen Sagen), so geht dies wohl auf Freya, die Walküre; ob ebenso Walpurg, die Heilige des ersten Mai, auf eine Walküre hinweist, bleibt zweifelhaft.] .
Fulla, Friggs Schmuckmädchen (nach dem Merseburger Zauberspruch aber deren Schwester), trägt ein Goldband um die flatternden Locken; sie ist die Göttin der Fülle, der Üppigkeit, des Segens und des Überflusses; romanisch Dame Habonde, Abundia; also auch eine einzelne Seite von Frigg. Sie verwahrt der Herrin Schmuckkästchen und Schuhe und ist ihrer heimlichen Pläne Vertraute.
Auch die Sonne, Frau Sunna, war eine Göttin, welche nicht bloss bei der Lehre von der Entstehung der Welt zur Erklärung des Tagesgestirnes angeführt und damit (für sich allein oder zusammen etwa mit dem Mond) abgefertigt worden wäre, sondern im Volk in allerlei gottesdienstlichen Handlungen verehrt ward und in mancherlei Erzählungen durch die Lande ging.
Während diese Göttinnen unverkennbar in dem Leben des Volks tief wurzelten, machen einige andre Namen, die in der Edda begegnen, mehr oder minder den Eindruck, als seien sie von den Skalden künstlich gestaltet, mit geringem Anhalt an dem Glauben des Volks.
Dies gilt noch am wenigsten von Gnâ, der Botin Friggs, deren Ross Hof-hwarpnir (Huf-werfer) über Wasser und durch Luft wie auf festem Boden zu laufen vermag. Wanen sahen einst sie auf diesem Ross durch die Luft brausen und fragten erstaunt: "Was fliegt da, was fährt da, was lenkt durch die Luft?" Sie aber (Gnâ, die "Hochfliegende"?) antwortete: "Ich fliege nicht, ich fahre
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