Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
nicht, doch lenk’ ich durch die Luft auf Hôf-wharpnir, den Hamskerpir (Schenkel-rasch) mit Gardrofwa (Stark-schweif) zeugte."
Auch Hnoss, die Tochter Freyas und Odrs, hat vielleicht noch mehr Fleisch und Blut, da doch wenigstens ihre Eltern genannt werden; freilich bedeutet sie nur "Schmuck, Geschmeide", und wenn es nun von ihr heisst: "Sie ist so schön, dass alles, was schön und köstlich ist, nach ihr benannt wird" – so ist das eine sehr frostige Personifikation des wesenlosen Namens.
Eine ähnlich nüchterne Verbildlichung ist Gersemi, Kleinod, dann Siöfn, welche die Menschen zur Zärtlichkeit erweicht; nach ihr (die mit neuhochdeutsch "Seufzen" zusammenhängt) sei die Liebe Siafni genannt worden.
Lofn (nach der "Erlaubnis" benannt) hat von Odin und Frigg Erlaubnis empfangen, Paare zu verbinden, trotz der gegenstehenden (Rechts-)Hindernisse.
Wara, die Hüterin der Verträge, hört die Eide, die Versprechungen, straft den Vertragsbruch; sie ist so weise, dass ihrem Forschen nichts verborgen bleibt. Syn versperrt die Türen den rechtlos Andringenden, ist auch Helferin derer, die, ungerecht verklagt, vor Gericht etwas leugnen: "Syn ist vorgeschoben", heisst es daher, bestreitet der Beklagte die Schuld.
Hlîn ist von Frigg (die auch selbst diesen Namen führt; wieder ein Fall von Loslösung und Verselbständigung einer einzelnen Seite in einer Göttergestalt) allen als Helferin bestellt, die in Gefahren Schutz brauchen (das Wort ist unser "Lehnen").
Ebenfalls eine nüchterne Personifikation ist Snotra (die Geschneuzte, d. h. die Kluge) "verständig und artig; und alle Verständigen heissen deshalb nach ihr".
Diese geist-, körper- und poesielosen abgezogenen Begriffe zeigen deutlich, wie in überkünstelter Zeit Skalden gleich ganze Göttergestalten aus Wörtern schaffen, die im Volksleben und Volksglauben keinen Bestand haben; – wie viel häufiger haben sie Götter zwar nicht geschaffen, aber in beliebigen Dichtungen der Einbildungskraft verwertet!
Wir sind damit an die äusserste Mark der Götterwelt gelangt, wo die Grenze zwischen Religion und Kunstdichtung, ja gekünstelter Verbildlichung endet und wendet.
Mittelhochdeutsche Dichter sprechen in fast gleichem Sinne von Frau Sälde, Frau Minne, Frau Ehre, Frau Masse, Frau Stäte, Frau Zucht, ohne an diese Wesen selbst zu glauben oder Glauben an sie von ihren Lesern oder Hörern zu verlangen [Fußnote: Die wiederholt versicherte Zwölfzahl der Asen ist sehr schwer festzustellen; etwa; Odin, Thor, Tyr, Baldur, Hödur, Bragi, Forseti, Heimdall, Ullr, Hermodur, Widar und Wali. – Dabei scheiden Freyr und Niördr als Wanen, Hönir als diesen vergeiselt, Loki wegen seines Übertrittes aus.] .
XII. Mittelwesen: Elben, Zwerge, Riesen.
Zwischen Göttern und Menschen stehen zahlreiche Mittelwesen; nicht so mächtig wie die Götter, – deren Macht aber freilich auch keineswegs unbeschränkt, keineswegs "Allmacht" ist, – jedoch mächtiger als die Menschen; zumal den Schranken des Raumes ganz oder doch zum Teil entrückt, mit übermenschlichen Gaben von Zukunfts-Kenntnis, Schönheit, Schnelligkeit, Verwandlungsfähigkeit ausgerüstet. Die Frage, ob ihre Seelen sterblich oder unsterblich, wird verschieden beantwortet. Diese Mittelwesen, fast unübersehbar schon an Mannigfaltigkeit und unschätzbar an Zahl, erfüllen in wimmelnder Menge den Äther, die Luft (obwohl hierfür die Zeugnisse schwach sind), die Erde, die Meere, die Ströme, die Bäche, die Wasserfälle, die Seen, die Quellen. Sie hausen auf Bergen, in Höhlen, in Felsen, in Wäldern, in einzelnen Bäumen und Büschen, im Moos, im Kelch der Blumen, ja zwischen Stamm und Rinde sogar vermögen die Winzig-Feinen sich einzunisten; sie sind die Träger, der Ausdruck des lebhaften Naturgefühls, in welchem, lebendiger noch als Hellenen und Italiker, die Germanen alles um sie her bevölkerten und beseelten mit übermenschlichen Wesen, welche, regelmässig unsichtbar und nur spürbar an ihren Wirkungen, manchmal sich den überraschten Augen der Menschen zeigen [Fußnote: Im einzelnen sind die Namen dieser Geister höchst mannigfaltig, je nach ihrem Aufenthaltsort, d. h. oft zugleich nach ihrer Naturgrundlage, dann nach ihrem Aussehen; aber auch landschaftlich und stammtümlich sind sie sehr verschieden benannt; Blaserle, Windalfr, Hule, d. h. Heule-Männchen, im heulenden Winde; Nebelmännle; Wassergeister; Wassermann, der Neck, der Nix, die Nixe, Meer-Minne, Marmennil, Muhme, Mümmelchen;
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