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Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen

Titel: Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Dahn , Therese Dahn
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toter Männer über die Brücke geritten, "und nicht donnert sie jetzt minder unter dir allein und nicht hast du die Farbe toter Männer; warum reitest du den Helweg?" Er antwortete: "Ich soll zu Hel reiten, Baldur zu suchen. Hast du vielleicht Baldur auf dem Helwege gesehen?" Da sagte sie; Baldur sei über die Giöllbrücke geritten: "aber nördlich geht der Weg herab zu Hel!"
    Da ritt Hermodur dahin, bis er an das Helgitter kam. Da sprang er vom Pferd und gürtete es fester, stieg wieder auf und gab ihm die Sporen. Da setzte der Hengst so mächtig über das Gitter, dass er es nirgends berührte. Da ritt Hermodur auf die Halle zu, stieg vom Pferd und schritt in die Halle. Da sah er seinen Bruder Baldur auf dem Ehrenplatze sitzen. Hermodur blieb dort die Nacht über. Aber am Morgen verlangte Hermodur von Hel, dass Baldur mit ihm reisen solle, und sagte, welche Trauer um ihn bei den Asen sei. Aber Hel sagte, das solle sich nun erproben, ob Baldur so allgemein geliebt werde, als man sage. "Und wenn alle Dinge in der Welt, lebendige sowohl als tote, ihn beweinen, so soll er zurück zu den Asen fahren; aber bei Hel bleiben, wenn eins widerspricht und nicht weinen will."
    Da stand Hermodur auf und Baldur begleitete ihn aus der Halle und nahm den Ring Draupnir und sandte ihn Odin zum Andenken, und Nanna sandte Frigg einen Überwurf und noch andre Gaben, und für Fulla einen Goldring. Da ritt Hermodur seines Weges und kam nach Asgard und sagte alle Zeitungen, die er da gehört und gesehen hatte. Danach sandten die Asen in alle Welt und geboten, Baldur aus Hels Gewalt zu weinen. Alle taten das; Menschen und Tiere, Erde, Steine, Bäume und alle Erze: "wie du schon gesehen haben wirst, dass diese Dinge weinen, wann sie aus dem Frost in die Wärme kommen".
    Als die Gesandten heimfuhren und ihr Gewerbe wohl vollbracht hatten, fanden sie in einer Höhle ein Riesenweib sitzen, das Thöck genannt war. Die baten sie auch, Baldur aus Hels Gewalt zu weinen; sie antwortete: "Thöck muss weinen mit trockenen Augen über Baldurs Ende! Nicht im Leben noch im Tode hatte ich Nutzen von ihm; behalte Hel, was sie hat!" Man meint, dass dies Loki gewesen sei, der den Asen so viel Leid zugefügt hätte.
    Jedoch nicht ungerächt musste Baldur nach Hel fahren; Wali, Odins und der Erdgöttin Rindr Sohn, war gerade erst geboren, als der Mord geschah; erst eine Nacht war der Knabe alt, aber auf die Nachricht von der Tat nahm er sich nicht Zeit, die Hand zu waschen oder das Haar zu kämmen, – sofort tötete er Hödur. Zwar war dieser nur das unschuldige Werkzeug Lokis (der, wie wir gleich sehen werden, schwerster Strafe nicht entgeht); aber der Charakter germanischer Blutrache hält sich ganz sachlich daran, dass einer den Tod des Gesippen verursacht hat; wie ja auch Tiere und sogar fallende Bäume, Balken, welche einen Menschen getötet haben, büssen müssen. Dass Hödur auch ein Bruder ist, schützt ihn nicht vor des Bruders Rache für den dritten Bruder; ein freilich seltener Fall! Wie heiss brennend, wie dringend die Pflicht der Blutrache empfunden wird, drückt die Sage darin aus, dass der Rächer, erst eine Nacht alt, ohne jeden Verzug zur Tat eilt. –
    Diese Pflicht erträgt keine Frist; sie lässt nicht Zeit, die Hände zu waschen, die Haare zu kämmen, und steht ihrer Erfüllung noch Unmöglichkeit entgegen, so lässt man nach der Sitte germanischer Rachegelübde Haar und Bart und die Nägel an den Fingern wachsen, ja wäscht und kämmt sich nicht, bis der dringendsten, unaufschieblichsten Pflicht genügt ist [Fußnote: Vgl. Dahn, Fehdegang und Rechtsgang der Germanen. Bausteine, II, Berlin 1880, S. 76-128.] .
    Es zeigt sich hier sehr deutlich die Doppelart dieser auf Naturgrundlage ruhenden, aber doch vermenschlichten und als Germanen gedachten Gewalten; der Herbst muss den Sommer töten; er ist blind; aber als germanisch menschlich gedachtet Töter muss er doch die an ihm zu vollstreckende Blutrache erdulden; in der neuen Welt lebt er friedlich und versöhnt neben dem Getöteten [Fußnote: Später, in christlicher Zeit, wurden von der Sage, wie sie Saxo Grammaticus uns aufgezeichnet, Baldur und sein Bruder Hödur (der ihn in der Sage wider Wissen und Willen tötet) aus Göttern in Helden; Balderus und Hotherus, umgewandelt, welche sich bekämpfen; nur bei Balderus ist noch die Erinnerung an seine göttliche Natur erhalten.] .
    Baldurs Unverletzbarkeit durch Wurf und Schlag bedeutet wohl nicht die "unkörperliche Natur des Lichtes",

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