Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
wann, nach dem kürzesten Tage, die Sonne wieder geboren wird. Hödur ist sittlich an seines Bruders Mord unschuldig, weil er das unschädliche Dunkel ist, das der Herrschaft des Lichts nach der Ordnung der Natur folgen muss; denn der Wechsel der Jahreszeiten ist ein wohltätiger, der selbst in der verjüngten Welt nicht entbehrt werden kann, wo Baldur und Hödur in des Siegesgottes Himmel wieder friedlich beisammen wohnen werden.
Als Baldur gefallen war, standen die Asen alle wie sprachlos und gedachten nicht einmal, ihn aufzuheben. Einer sah den andern an. Ihr aller Gedanke war wider den gerichtet, der diese Tat vollbracht hatte. Aber sie durften es nicht rächen; denn es war an einer heiligen Freistätte (so konnte Loki entfliehen, muss man wahrscheinlich hinzudenken). Als aber die Götter die Sprache wieder erlangten, da war das erste, dass sie so heftig zu weinen anfingen, dass keiner mit Worten dem andern seinen Harm sagen mochte. Und Odin nahm sich den Schaden um so mehr zu Herzen, als niemand so gut wusste als er, zu wie grossem Verlust und Verfall den Asen Baldurs Ende gereichte.
Als nun die Asen sich erholt hatten, da fragte Frigg, wer unter den Asen ihre Gunst und Huld gewinnen und den Helweg reiten wolle, um zu versuchen, ob er da Baldur fände, und Hel Lösegeld zu bieten, dass sie Baldur heimkehren liesse gen Asgard? Und er hiess Hermodur, der schnelle, Odins Sohn, der diese Fahrt unternahm. Da ward Sleipnir, Odins Hengst, genommen und vorgeführt; Hermodur bestieg ihn und stob davon.
Da nahmen die Asen Baldurs Leiche und brachten sie zur See. Hringhorn hiess Baldurs Schiff; es war aller Schiffe grösstes. Das wollten die Götter vom Strande stossen und Baldurs Leiche darauf verbrennen. Bevor aber Baldur verbrannt wird, raunt dem Sterbenden sein Vater Odin ein Wort in das Ohr; – welches das war, kann freilich (ausser dem nun in Hel wohnenden Toten) nur Odin selbst wissen (daher erkennt den "Wanderer" der Riese Wafthrudnir an dieser Frage als Odin selbst); aber es war wohl das Wort des Trostes, dass Baldur ursprünglich schon im nächsten Frühling, nach der spätern welttragischen Fassung der Sage, in der verjüngten Welt wieder aufleben werde [Fußnote: Gewiss nicht, wie man gemeint hat, der Name des obersten neuen Christen-Gottes in der erneuten Welt! – Vgl. Odins Trost, Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. IV. S. 101.] . Aber das Schiff ging nicht von der Stelle. Da ward gen Jötunheim nach dem Riesenweibe gesendet, die Hyrrockin hiess. Und als sie kam, ritt sie einen Wolf, der mit einer Schlange gezäumt war. Wie sie von diesem Rosse gesprungen war, rief Odin vier Berserker herbei, es zu halten; aber sie vermochten es nicht anders, als indem sie es niederwarfen. Da trat Hyrrockin an das Vorderteil des Schiffes und stiess es im ersten Anfassen vor, dass Feuer aus den Walzen fuhr und alle Lande zitterten. Da ward Thor zornig und griff nach dem Hammer und würde ihr das Haupt zerschmettert haben, wenn ihr nicht alle Götter Frieden erbeten hätten. Da ward Baldurs Leiche hinaus auf das Schiff getragen. Und als sein Weib, Neps’ (des Blütenknopfs) Tochter, Nanna (also der erschlossenen Knospe Kind; nach andern die wagende, mutig, unablässig Treibende), das sah, da zersprang sie vor Jammer und starb. Da ward sie auf den Scheiterhaufen gebracht und Feuer darunter gezündet. Und Thor trat hinzu und weihte den Scheiterhaufen mit Miölnir, und vor seinen Füssen lief der Zwerg, der Lit (Farbe) hiess, und Thor stiess mit dem Fusse nach ihm und warf ihn ins Feuer, dass er verbrannte. Und diesem Leichenbrande wohnten vielerlei Gäste bei; zuerst ist Odin zu nennen, und mit ihm fuhr Frigg und die Walküren und Odins Raben; und Freyr fuhr im Wagen und hatte den Eber vorgespannt, der Gullinbursti hiess. Heimdall ritt den Hengst, Gulltopp (Goldzopf) genannt, und Freya fuhr mit ihren Katzen. Auch kam eine grosse Menge Hrimthursen und Bergriesen. Odin legte auf den Scheiterhaufen den Ring, der Draupnir hiess und seitdem die Eigenschaft gewann, dass jede neunte Nacht acht gleich schöne Goldringe von ihm tropften. Baldurs Hengst ward mit allem Geschirr zum Scheiterhaufen geführt.
Hermodur ritt unterdes neun Nächte durch tiefe, dunkle Täler, so dass er nichts sah, bis er zum Giöllflusse kam und über die Giöllbrücke ritt, die mit glänzendem Golde belegt ist. Modgudr heisst die Jungfrau, welche die Brücke bewacht. Die fragte ihn nach Namen und Geschlecht und sagte, gestern seien fünf Haufen
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