Walhall. Germanische Goetter- und Heldensagen
Thiassi und seine beiden Brüder Idi und Gângr in der Weise in das Erbe, dass jeder je einen Mund voll Goldes daraus nahm. Uhland hat dies so gedeutet: der Bierbringer ist der Regenwind, seine Schätze sind die Wolken; starb der Regenwind, teilen sich die übrigen späteren (d. h. jüngeren) Winde in die Wolken, sie teilen sie mit dem Munde, d. h. sie zerblasen sie [Fußnote: S. Sämtl. poetische Werke. Zweite Serie Bd. VII. S. 160.] . Der heute noch in unsrer Sprache lebenden "Windsbraut" liegt die Sage zu Grunde, dass ein stolzes Mädchen alle menschlichen Freier verschmähte – nur des Windes (d. h. keines) Braut wollte sie werden, hatte sie gelobt. Da nahm sie Odin bei dem Wort, drang des Nachts, die Fenster aufstossend, in ihr Schlafgemach, umfasste die zugleich vor Grauen und Wonne Erbebende und trug sie in seinem dunkeln Mantel weit nach Asgards goldenen Hügeln [Fußnote: Erst jetzt, nachdem wir alle Arten von Wesen – von den Göttern bis zu den Riesen – kennen gelernt, können wir würdigen die einsilbige, aber markige Artzeichnung der Edda; "Allvater ordnet, Alfen erkennen, Wanen wissen, Nornen weissagen, die Riesin (ividja, im Eisengebüsch, welche die beiden Wölfe grosszieht) nährt (ihre böse Brut), Menschen dulden, Thursen erwarten (den letzten Kampf, das Losreissen der gefesselten Genossen, die Götterdämmerung), Walküren trachten" (nach Kampf).] .
Drittes Buch.
Die Götterdämmerung und die Welterneuerung.
I. Vorzeichen und Vorstufen der Götterdämmerung: Verschuldungen, Verluste und Vorkehrungen der Götter.
Wir sahen bereits wiederholt, die Götter sind durch eine Reihe von Treubrüchen schuldig geworden, bevor sie Einbussen erleiden in dem Kampfe gegen die Riesen.
Abgesehen von ihrer dunkeln, schwer deutbaren Verschuldung, die sich an die Zauberin Gullveig knüpft, brechen sie die Treue in folgender Geschichte. Nachdem die Asen Midgard gebildet und Walhall gebaut, kam zu ihnen ein unbekannter Baumeister, vermutlich in Menschengestalt und versprach, ihnen eine von den Riesen nie zu erstürmende Burg zu bauen, wenn sie ihm zum Lohne Freya, dazu Sonne und Mond, versprächen. Törichterweise gingen die Götter, von dem Begehren nach einer solchen Burg verlockt, auf den Vorschlag ein. Nur ward verabredet, dass der Bau in einem Winter vollendet sein müsse; fehle am ersten Sommertag auch nur das Geringste daran, solle der Meister gar nichts erhalten. Ferner solle niemand ihm helfen dürfen bei der Arbeit ausser sein Ross Swadilfari, welcher Wunsch des Meisters auf Lokis Rat, der vielleicht schon damals hieran arglistige Gedanken knüpfte, bewilligt ward.
Die Götter hatten gehofft, die gute Burg zu erhalten, ohne den Lohn leisten zu müssen, weil der Meister die Frist unmöglich werde einhalten können. Aber wie erschraken sie, als sie nun den Fremden mit seinem gewaltigen Rosse so furchtbar stark und rasch bauen sahen, gleich vom ersten Wintertag an! Sie wagten doch den mit schweren Eiden gefesteten Vertrag nicht zu brechen; der fremde, unerkannt gebliebene Baumeister war ein Riese; und ohne die heiligsten Eide hätte sich ja kein Jötun unter die Götter gewagt, zumal aus Furcht vor Thor, falls dieser heimkäme von seiner Fahrt in den fernen Osten, wo er eben wieder Riesen erschlug.
Als nun nur noch drei Tage bis zu Sommersanfang fehlten, war die Burg fertig bis auf das Tor. Voller Schrecken setzten sich die Götter auf ihre (zwölf) Richter- oder Beratungsstühle und pflogen Rates und forschten untereinander, wer den verderblichen Rat gegeben, Freya, Sonne und Mond aufs Spiel zu setzen?
Da fanden sie, er, der von je zu allem Bösen rate, Loki, habe auch diesen Rat gegeben. Und sie bedrohten ihn mit dem Tode, wenn er nicht Auskunft finde, den Baumeister um seinen Lohn zu bringen; – offenbar: indem sie auch mit arglistigen Mitteln sich im voraus einverstanden erklärten. Erschrocken schwur Loki, er werde das fertig bringen.
Als nun der Baumeister abends mit seinem Hengst ausfuhr, Steine zu holen, lief eine Stute aus dem Wald wiehernd auf ihn zu. Swadilfari ward wild, zerriss die Stränge und lief mit dem andern Pferde in den Wald.
Die ganze Nacht mühte sich der Meister, sein Ross wieder einzufangen; wie die Nacht völlig, ging auch – wegen grosser Ermüdung – der folgende Tag fast ganz für die Arbeit verloren. Der Meister merkte, dass er die Frist nicht werde einhalten können und geriet in "Riesen-Zorn".
Da erkannten die Götter, dass der Baumeister ein Bergriese war,
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