Walisischer Sommer
einmal und lächelte reumütig.
„Das klingt ja sehr nett und idyllisch”, sagte sie kühl. „Aber man kann nicht nur von Selbstachtung leben.”
„Mag sein, doch ohne sie auch nicht”, gab er zurück. „Das hat man inzwischen anhand zahlreicher Untersuchungen bewiesen. Wenn man einem Menschen die Selbstachtung nimmt, reduziert sich sein Leben auf das absolute Minimum.”
„Sie stellen es als eine Art Allheilmittel dar, jedermanns Selbstachtung aufzupäppeln”, warf sie ihm spöttisch vor.
„In vielerlei Hinsicht ist es das auch”, erwiderte er ruhig. „Als ich fünfzehn Jahre alt war, wurde mein Vater arbeitslos. Drei Monate später beging er Selbstmord. Er war erst dreiundvierzig und wurde nicht damit fertig, daß man ihm gekündigt hatte. Es genügte ihm nicht, daß wir ihn liebten und brauchten und daß er in der Gemeinde großes Ansehen genoß.”
Christa schwieg schockiert. Die einfachen Worte ohne jedes falsche Pathos berührten sie zutiefst. Tränen stiegen ihr in die Augen. Am liebsten hätte sie ihm die Hand auf den Arm gelegt und ihm gesagt, wie gut sie ihn verstand, weil sie ebenfalls ihre Eltern sehr früh verloren hatte.
„Wahrscheinlich hat mir deshalb beruflicher und finanzieller Erfolg nie viel bedeutet. Tragisch war, daß wir nach dem Tod meines Vaters Aktien fanden, die er Jahre zuvor gekauft hatte und die dann so sehr im Wert stiegen, daß er sich um Geld nicht mehr hätte sorgen müssen. Ich habe dieses Anwesen davon gekauft und glaube, im Sinne meines Vaters gehandelt zu haben.”
Christa schluckte heftig. Er erschien ihr so aufrichtig und gradlinig und verkörperte genau das, wie sie sich den Mann ihrer Träume vorstellte.
Aber er übte eine Tätigkeit aus, bei der es darauf ankam, andere geschickt zu täuschen, wie Christa aus bitterer Erfahrung wußte. Gefühlsmäßig hätte sie sich ihm gern zugewendet und ihm geglaubt, aber ihr Verstand warnte sie, auf der Hut zu sein. Was war nun richtig?
Warum bin ich nicht einfach offen und gebe ihm die Möglichkeit, seine Theorien zu beweisen? Deshalb bin ich ja hier. Eigentlich wäre es fair, ihm eine Chance zu geben … um mich dann schließlich in ihn zu verlieben und zu riskieren, so verletzt zu werden wie meine Freundin? fuhr es ihr durch den Kopf.
Nein, niemals würde sie auf diesen Mann hereinfallen, mochte er noch so begehrenswert erscheinen und mit Engelszungen reden. Nein, nie und nimmer.
4. KAPITEL
Schläfrig richtete Christa sich im Bett auf. Sie blickte auf die Uhr und stellte überrascht fest, wie spät es schon war. So lange und fest hatte sie seit Ewigkeiten nicht mehr geschlafen. Natürlich würde Daniel das mit der abgelegenen, ruhigen Lage des Hauses erklären.
Christa hatte jedoch einen ganz anderen Verdacht. Sie überlegte, was er ihr in den Kakao getan hatte, den er ihr vor dem Zubettgehen aufgedrängt hatte.
Im Haus war kein Laut zu hören.
Während sie die Beine aus dem Bett schwang und nach dem Negligé griff, runzelte sie die Stirn. Am Vorabend hatte Daniel gesagt, er würde am nächsten Morgen die Einzelheiten des Kurses mit ihr besprechen.
„Der Ablauf ist anders als sonst.”
„Ja, das kann ich mir vorstellen”, stimmte sie zu. „Normalerweise haben Sie es ja mit Leuten zu tun, die Sie bereits bekehrt haben, nicht wahr?”
„Nein, das nun auch wieder nicht”, widersprach Daniel und fügte bestimmt hinzu: „Im übrigen wird hier niemand bekehrt. Wir helfen den Kursteilnehmern, die Anzeichen und Auswirkungen von Streß zu erkennen, damit sie lernen, damit umzugehen.”
„Haben Sie einmal daran gedacht, eine Karriere im diplomatischen Dienst anzustreben?” sagte Christa leise und ironisch vor sich hin, aber doch so laut, daß er es hörte.
Er blickte sie gleichmütig an und erwiderte: „Nein, dazu habe ich keine Geduld, und es fehlen mir auch die Spitzfindigkeit und Gerissenheit, die man in diesem Beruf braucht.”
Darüber hätte Christa gern noch mit ihm gestritten, wurde jedoch plötzlich so müde, daß sie anfing zu gähnen.
„Sie sollten ins Bett gehen”, empfahl er ihr und fügte leicht belustigt hinzu: „Oder langweile ich Sie etwa?”
Erwartet er wirklich, daß ich diese Frage beantworte? überlegte Christa. Bestimmt war ihm bewußt, daß keine einigermaßen normal empfindende Frau ihn langweilig fand.
Nun, das hatte sich am Vorabend abgespielt. Jetzt wunderte Christa sich, wo er wohl sein mochte, denn instinktiv spürte sie, daß er nicht im Haus war.
Sie schlenderte
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