Walisischer Sommer
hätte zuviel getrunken. Verlogenes Pack. Ich habe gedacht, ich trinke bei dir weiter, und bin hergefahren. Warst immer ein guter Freund, Daniel. Hatten eine verdammt gute Zeit zusammen, stimmt’s?”
Dann richtete er sich auf und durchquerte schwankend den Raum. Christa beobachtete ihn schockiert und angewidert. Sie war entsetzt über das, was sie soeben über Daniel erfahren hatte.
Tränen stiegen ihr in die Augen, und sie verspürte einen tiefen, brennenden Schmerz. Es tröstete sie überhaupt nicht, daß sie gerade noch rechtzeitig die Wahrheit erfahren hatte, ehe sie die größte Dummheit ihres Lebens beging.
Ihr wurde beinahe übel, als sie an die Lügen dachte, die Daniel ihr aufgetischt hatte, und die sie ihm, töricht wie sie war, geglaubt hatte. Dabei hätte sie es besser wissen müssen, nach allem, was ihre Freundin Laura mit Piers durchgemacht hatte.
Als der andere Mann auf die Tür zum Flur zusteuerte, wurde es Daniel zuviel. Er hielt ihn fest und dirigierte ihn entschlossen hinaus.
„Es tut mir leid”, entschuldigte er sich bei Christa. „Er hat unsere Pläne ein wenig durcheinandergebracht – aber dadurch lassen wir uns nicht aufhalten, wir holen es gleich nach”, fügte er vielsagend hinzu.
Du liebe Zeit, wie kann er nur so arrogant sein? Ist ihm denn nicht bewußt, daß der andere ihn bloßgestellt hat? Er hat es doch selbst gehört. Oder glaubt er etwa, ich würde ihn so sehr lieben und mich so verzweifelt nach ihm sehnen, daß ich die Tatsachen einfach ignoriere? überlegte sie.
Nun wurde ihr wirklich übel. Am liebsten hätte sie ihren Schmerz und die ganze Qual herausgeschrien, doch dazu war sie viel zu stolz.
„Komm schon, Dai”, sagte Daniel dann. „Ich fahre dich rasch nach Hause …”
„Ich will nicht nach Hause”, beschwerte der andere sich. Aber Daniel ließ sich nicht beirren, er beförderte ihn auf den Rücksitz des Landrovers und fuhr mit ihm davon.
Christa rührte sich nicht von der Stelle. Jetzt verstehe ich, was es heißt, zu Stein zu erstarren, dachte sie. Ihr war entsetzlich elend vor Kummer und Schmerz.
Warum habe ich nicht auf meinen Verstand gehört, sondern mich meinen Gefühlen hingegeben? fragte sie sich deprimiert. Instinktiv wollte sie sogleich abfahren, um sich weitere Qualen zu ersparen. Doch dann entschloß sie sich zu bleiben, denn ihre Selbstachtung verbot es ihr, klein beizugeben.
„Ich habe lange Zeit enthaltsam gelebt”, hatte er ihr vorgemacht, und sie hatte es geglaubt, vor allem auch, weil sie es so wollte. Doch nun erhielten seine Worte einen bitteren Nachgeschmack.
Insgeheim hatte er sich wahrscheinlich über sie lustig gemacht. Und er besaß noch nicht einmal den Anstand, sich zu schämen oder zumindest irgendwie verlegen zu sein, nachdem sein betrunkener Freund die Wahrheit ausgeplaudert hatte.
Wie lange wird er wohl wegbleiben? überlegte sie unglücklich und schaute auf die Uhr. Meinetwegen braucht er gar nicht zurückzukommen, fügte sie in Gedanken hinzu.
Dann wanderte sie in der Küche ärgerlich auf und ab und durchlebte noch einmal alles, was zwischen ihnen geschehen war. Nur wenn man es wirklich genießt, andere zu belügen und zu verletzen, kann man so perfekt schauspielern, dachte sie. Und in ihrem Fall wäre Daniel seiner Meinung nach beinahe in zweifacher Hinsicht erfolgreich gewesen, denn er hatte es geschafft, daß sie sich in ihn verliebt hatte. Außerdem war er bestimmt davon überzeugt, daß sie seinen Theorien in jeder Hinsicht zustimmen und sich von allem, was sie vorher über seine Tätigkeit gesagt hatte, distanzieren würde, sobald er sie in seinem Bett hätte.
Auf einmal liefen ihr Tränen über die Wangen. Christa ballte die Hände zu Fäusten und nahm sich vor, keine weitere Dummheit zu begehen. Der Mann, um den sie jetzt weinte, existierte nicht, und sie konnte eigentlich dankbar dafür sein, daß sein betrunkener Freund gerade noch rechtzeitig aufgetaucht war. Sonst hätte sie die Wahrheit erst erfahren, nachdem sie die schönsten Stunden ihres Lebens mit ihm verbracht hatte. Dieser Gedanke war ihr unerträglich.
Wie würde Daniel sich nach seiner Rückkehr verhalten? Würde er so dreist sein, einfach zu ignorieren, was vorgefallen war, und dort weitermachen, wo sein Freund sie unterbrochen hatte? Und wie würde sie selbst reagieren, wenn er jetzt hereinkommen und sie in die Arme nehmen würde?
Natürlich würde ich ihn zurückweisen – oder etwa nicht? Schließlich erschien es ihr klüger, in ihr
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