Walking Disaster
hatte.
Ein paar Tage danach fiel mir ein vertrautes Gesicht ins Auge. Ich hatte sie früher zusammen mit Janet Littleton gesehen. Lucy war ziemlich scharf, versäumte keine Gelegenheit, Dekolleté zu zeigen und tönte gern davon, wie sehr sie mich verabscheute. Zum Glück brauchte ich gerade mal dreißig Minuten und eine unverbindliche Einladung ins Red, um sie mit nach Hause zu nehmen. Ich hatte die Wohnungstür kaum zugemacht, da ging sie mir auch schon an die Wäsche. So viel zu der großen Abscheu, die sie seit dem vergangenen Jahr gegen mich hegte. Sie ging mit einem Lächeln auf dem Gesicht und Enttäuschung im Blick.
Ich musste immer noch an Abby denken.
Nicht einmal die typische Müdigkeit nach dem Orgasmus half etwas, und noch dazu verspürte ich etwas Neues: Schuld.
Am nächsten Tag beeilte ich mich in den Geschichtskurs und rutschte sofort in die Bank neben Abby. Sie hatte schon ihren Laptop und ihr Buch ausgepackt und beachtete mich kaum.
Der Klassenraum war dunkler als sonst. Die Wolken draußen dämpften das durch die Fenster einfallende Licht. Ich stupste ihren Arm an, aber sie reagierte nicht so wie sonst. Also nahm ich ihr den Stift aus der Hand und begann, damit die Randspalten der Blätter zu bekritzeln. Hauptsächlich mit Tattoos, aber ich schrieb auch ihren Namen in einer coolen Schrift. Endlich spähte sie mit einem wohlwollenden Lächeln zu mir herüber.
Ich beugte mich zu ihr und flüsterte: »Hast du Lust, heute irgendwo anders als auf dem Campus Mittag zu essen?«
»Kann nicht«, hauchte sie zurück.
Ich kritzelte in ihr Heft.
Warum?
Ich lege Wert auf eine ausgewogene Ernährung.
Das ist nicht dein Ernst.
Mein voller Ernst.
Ich hätte gern dagegengehalten, aber auf der Seite uns ging der Platz aus. Na schön. Also noch ein Rätsel-Menü. Kann’s kaum erwarten.
Sie kicherte, und ich genoss dieses Gefühl, mich auf dem Gipfel der Welt zu befinden. Es überkam mich immer, wenn ich sie zum Lächeln brachte. Ein paar Kritzeleien und eine umwerfende Drachenzeichnung später beendete Chaney den Unterricht.
Ich warf Abbys Stift in ihren Rucksack, während sie ihre übrigen Sachen einpackte, danach steuerten wir die Cafeteria an.
Man glotzte uns nicht mehr so viel an wie am Anfang. Die Studentenschaft hatte sich wohl daran gewöhnt, uns regelmäßig zusammen zu sehen. Während wir in der Schlange standen, plauderten wir über den neuen Aufsatz in Geschichte, den wir von Chaney aufbekommen hatten. Abby zog ihre Karte durch den Scanner und machte sich auf den Weg zum Tisch. Sofort fiel mir auf, dass auf ihrem Tablett etwas fehlte: Das Glas O-Saft, das sie jeden Tag nahm.
Ich musterte die kräftigen, finster dreinblickenden Damen bei der Essensausgabe. Als die strenge Frau hinter der Kasse hervortrat, wusste ich, dass ich meine Zielperson gefunden hatte.
»Hallo, Miss … äh … Miss …«
Die Cafeteria-Lady schaute einmal an mir hoch und runter, bevor ihr klar war, dass ich ihr Ärger machen würde. So erging es den meisten Frauen, bevor mein Anblick ihre Schenkel zum Prickeln brachte.
»Armstrong«, sagte sie schroff.
Ich versuchte, den Widerwillen zu verdrängen, der mich überkam, als der Gedanke an ihre Oberschenkel irgendwo in meinem Hinterkopf auftauchte.
Ich ließ mein charmantestes Lächeln aufblitzen. »Sehr erfreut. Ich habe mich gefragt, ich meine, Sie sehen wie die Chefin hier aus … Gibt es heute keinen O-Saft?«
»Hinten haben wir noch welchen. Aber ich war zu beschäftigt, um ihn nach vorne zu bringen.«
Ich nickte. »Sie laufen sich hier dauernd die Hacken ab. Eigentlich würden Sie mal eine Lohnerhöhung verdienen. Hier arbeitet keiner so hart wie Sie. Wir merken das alle.«
Sie hob das Kinn, wie um die Falten an ihrem Hals zu straffen. »Dankeschön. Das wird wirklich auch Zeit, dass das mal jemandem auffällt. Möchten Sie Orangensaft?«
»Nur ein Glas … natürlich nur, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
Sie zwinkerte mir zu. »Überhaupt nicht. Bin gleich wieder da.«
Ich brachte das Glas an den Tisch und stellte es auf Abbys Tablett.
»Das wäre nicht nötig gewesen. Ich hätte mir auch selbst eins geholt.« Sie schlüpfte aus der Jacke und legte sie auf ihren Schoß. Darunter kamen ihre nackten Schultern zum Vorschein. Sie waren immer noch leicht gebräunt vom Sommer und schimmerten, als bäten sie mich um eine Berührung.
Ein Dutzend dreckiger Gedanken schoss mir durch den Kopf.
»Tja, das kannst du dir jetzt sparen«, sagte ich. Ich
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