Walküre
widersprach Fabel. »Was haben Sie noch?«
»Ich habe mir die in Kopenhagen vorhandenen Unterlagen von Jens angesehen. Seine Internetchronik und so weiter. Er hatte außerdem Berge ... buchstäblich Berge von Recherchematerial über die Polizei und den Sicherheitsapparat der DDR. Dazu gehörte ein detailliertes Verzeichnis von Angehörigen der Volkspolizei und natürlich der Stasi.«
»Und Sie meinen, dass dies etwas mit der angeblichen Hamburger Berufsmörderin zu tun hat?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht besteht kein Zusammenhang. Aber Jens hat sich sehr auf diese Ermittlung konzentriert. Offiziell hielt er nach Vujacics Mörder Ausschau, doch seine Einstellung zu dem Fall grenzte ans Zwanghafte. Außerdem gab es ein paar Namen – von früheren Stasi-Leuten, meine ich –, denen er ein besonderes Interesse widmete. Vor allem einer, ein gewisser Major Georg Drescher, fesselte ihn. Merkwürdigerweise hat sich Drescher, sobald die Mauer gefallen war, allem Anschein nach in Luft aufgelöst. Er arbeitete für die Hauptverwaltung Aufklärung der Stasi. Die Spionageabteilung. Vermutlich nutzte Drescher, als er 1989 merkte, dass der Wind sich drehte, seine Stasi-Mittel, um unter einer neuen Identität weiterzuarbeiten. Vielleicht sogar hier in Westdeutschland. Aber warum Jens so fasziniert von Drescher war, kann ich nicht genau sagen. Nach den Notizen zu urteilen, muss Drescher ein einflussreicher Mann bei der Rekrutierung und Ausbildung von Agenten gewesen sein, die im Westen eingesetzt wurden.«
»Sie glauben also, dass diese Walküre eine frühere Stasi-Agentin ist?«
»Das wäre einleuchtend.«
Fabel runzelte die Stirn. Er rechnete nach, und der Gedanke, dass eine Frau von nun mittlerem Alter so effektive Mordanschläge beging, wollte ihn nicht überzeugen. »Wir sollten die Sache nicht überstürzen. Warten wir ab, was die Autopsie ergibt, bevor wir alle Möglichkeiten ausloten. Sonst noch etwas?«
»Ein paar weitere Namen. Notizen über Vujacics Kontakte und Ähnliches. Auch einige verblüffende Dinge ... Sie haben von Gennadi Frolow gehört?«
»Dem russischen Oligarchen?«
»Richtig. Sein persönliches Vermögen wird auf zwölfeinhalb Milliarden geschätzt. Jens hat eine Menge Aufzeichnungen über ihn angefertigt. Wenn auch nur Allgemeines und kein Dossier.«
»Vujacics Geldgeber?«
»Das bezweifle ich«, sagte Karin Vestergaard. »Ich habe ein bisschen nachgeforscht, und im Vergleich zu den meisten anderen Oligarchen hat Frolow eine blütenweiße Weste. Trotzdem kommt mir das Ganze sonderbar vor. Neben den Einzelheiten über Frolow hat Jens massenhaft Informationen über Vantage North, die Firma für Schiffbau und Schiffdesign in Flensburg, gesammelt. Sie hat unter anderem auch Frolows Luxusjacht, die Snow Queen, entworfen und gebaut.«
»Und Sie sind sicher, dass Frolow Vujacic nicht finanziert hat?«
»Es wäre nicht plausibel. Die Lieferung von Drogen nach Skandinavien und Norddeutschland ist ein Multimillionen-Dollar-Geschäft. Aber das dürfte für einen Mann wie Frolow nur Kleingeld sein. Das Risiko, verurteilt zu werden, wäre gegenüber dem möglichen Nutzen bei Weitem zu hoch.«
Fabel lehnte sich erneut zurück und rieb sich nachdenklich das Kinn. »Wer ist Olaf?«
»Olaf?«
»In Jespersens Notizen steht der Name Olaf. Wissen Sie, wer das sein könnte?«
Karin Vestergaard zog die Augenbrauen hoch. »Ich kenne jede Menge Olafs, genau wie Jens viele gekannt haben muss. Aber ein spezieller Olaf fällt mir nicht ein.«
»Gab es noch etwas in Jespersens Aufzeichnungen, das hilfreich sein könnte?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.« Sie zog einen Ordner aus ihrem Aktenkoffer. »Aber vielleicht finden Sie etwas Relevantes, das mir entgangen ist. Hier haben Sie eine Kopie von allem.«
Fabel streckte die Hand aus, um den Ordner entgegenzunehmen, doch sie hielt ihn einen Moment lang fest. »Ich habe meine gesamten Informationen mit Ihnen geteilt, Herr Fabel. Ich hoffe, Sie werden nun Ihrerseits die Abmachung erfüllen.«
»Ich habe Ihnen doch bereits meine uneingeschränkte Kooperation zugesichert.« Der Ärger in Fabels Stimme war nicht zu verkennen. »Ich werde Sie über alle Erkenntnisse auf dem Laufenden halten.«
»Dann werden wir bestimmt gut miteinander auskommen.« Karin Vestergaard lächelte ohne jede Herzlichkeit und ließ den Ordner los.
Drittes Kapitel
1.
Nachdem Birta den Mietwagen auf dem städtischen Parkplatz abgeholt hatte, bog sie in die Straße nach Oslo ab. Als
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