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Walküre

Walküre

Titel: Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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sie die Stadtgrenze erreichte, warf sie den Parkschein aus dem Fenster. Wenn sie das Auto zurückbrachte, würde nichts darauf hindeuten, dass sie je in Oslo oder überhaupt in Norwegen gewesen war. Sie hatte mehrere falsche Fahrziele in der Gegend von Stockholm in das Sat-Nav-System des Wagens einprogrammiert. Die Gesamtsumme ergab die auf dem Kilometerzähler angezeigte Strecke. Während der Reise hatte sie jede Geschwindigkeitsbegrenzung und jede Verkehrsregel eingehalten. Da sie nicht in einem Hotel übernachtet und beim Tanken mit Bargeld bezahlt hatte, ließ sich eine Grenzüberquerung nicht nachweisen.
    Sie stellte die Stereoanlage an, und Wolfgang Haffners Musik erfüllte das Wageninnere. Der deutsche Jazz und die norwegische Winterlandschaft harmonierten perfekt miteinander, und Birta lehnte sich bequem in ihrem Sitz zurück. Aber es gelang ihr nicht, das Cafe und die Frau mit den Kindern zu vergessen.
    Das Haus ihrer Zielperson lag nördlich von Drobak, tief im Wald am Ufer eines kleinen Binnensees. Sie wusste, dass er zu Hause arbeitete, und es war der ideale Ort für ein Treffen. Sie hatte sogar den besten Zeitpunkt in seiner Planung herausgefunden.
    Birta stellte das Auto auf einem Parkplatz in Drobak ab. Ihre Erkundungen hatten ergeben, dass der Platz gebührenfrei war und nicht von CCTV-Kameras überwacht wurde. Auf dem Rücksitz zog sie drei Paar dicke Wollsocken an, teils um die Kälte abzuwehren, doch hauptsächlich, damit ihr die schweren, übergroßen Männerstiefel, in die sie nun schlüpfte, einigermaßen passten. Ein Treffen im Schnee abzuhalten war ein Segen und gleichzeitig ein Fluch. Sie würde die gewünschten Spuren an den gewünschten Stellen hinterlassen, aber sie würde gleichzeitig darauf achten, alle unbeabsichtigten Hinweise zu vermeiden.
    Birta zog einen dunklen Parka über und schob ihre blonden Haare sorgfältig unter die schwarze Wollstrickmütze, damit jede Strähne darunter verschwand. Dann streifte sie sich die Gurte eines Rucksacks über und zog sich den Riemen eines Gewehrkastens über die Schulter. Nun verließ sie den Parkplatz zu Fuß durch den hinteren Teil des Ortes, um außer Sichtweite der Hausbewohner zu bleiben.
    Sie brauchte eine halbe Stunde, um die Stelle zu erreichen, an der sich der Wald zum See hin öffnete. An seinem nördlichen Ufer spiegelten sich die Lichter eines Hauses im Wasser. In drei Zimmern brannte Licht, und sie wusste, dass er allein sein würde. Seine Frau und seine Kinder besuchten Angehörige in Frederikstad und würden erst am Mittag des nächsten Tages zurückkehren. Er war zu Hause geblieben, um sich auf seine Reise nach China in zwei Tagen vorzubereiten und seine Koffer zu packen.
    Birta ging zwischen den Bäumen hindurch zu der langen Zufahrt vor dem Haus. Die Zufahrt war freigeschaufelt worden, und der Schnee häufte sich auf beiden Seiten zu einem hohen Damm. Birta ging rückwärts auf das Haus zu und verwischte dabei ihre Fußspuren, bis sie eine niedrige Stelle im Schneewall fand. Sie sprang über ihn hinweg auf die Auffahrt. Nun würde sie keine deutlichen Spuren mehr hinterlassen. Bevor sie sich dem Haus näherte, nahm sie das Gewehr von der Schulter, entrollte das Zelttuch und breitete die Teile darauf aus, um die Waffe zusammenzusetzen.
    »Was zum Teufel machen Sie da?«, rief eine männliche Stimme hinter ihr. Alles geschah in einer einzigen Bewegung: Sie sprang auf, drehte sich um, öffnete das Messerfutteral und trieb die Klinge unter dem Brustbein in seinen Körper. Dabei setzte sie bewusst zusätzliche Kraft ein, um den schweren Parka des Mannes und die Kleidungsschichten darunter zu durchbohren. Er reagierte nicht, denn das Messer war durch die das Licht resorbierende graue Polycarbonatoberfläche und die Geschwindigkeit ihres Stoßes in der Dunkelheit vermutlich unsichtbar für ihn gewesen. Mit derselben fortlaufenden Bewegung drehte Birta die Klinge. Seine Augen waren aufgerissen, und sein Mund klaffte wie vor Empörung oder Verwirrung auf, bevor er auf die Knie sank. Birta trat zur Seite, sodass er sich nach vorn neigte und aufs Gesicht fiel. Sie drehte ihn um und stellte innerhalb einer Sekunde zwei Tatsachen fest: Er war tot, und er war nicht ihre Zielperson. Der Tote mochte Ende vierzig sein. Die Kleidungsschichten erschwerten die Einschätzung, aber er sah stämmig aus. Sie öffnete seinen Parka und spürte die Wärme eines Körpers, der keine eigene Temperatur mehr erzeugen würde. Da der Mann unbewaffnet war, konnte

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