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Walküre

Walküre

Titel: Walküre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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Theo Wangler war der Schutzpolizist von der Davidwache, der den Auftrag hatte, sie bei ihrem Gang durch die Bars und Clubs zu begleiten. Die Uniform stand ihm gut: Wangler war zwei Meter groß und trainierte offensichtlich mit Gewichten. Er hatte breite, kräftige Kiefer, und wenn er seine Mütze abnahm, um sich das Haar mit den Fingern zurückzustreichen, konnte sie nicht übersehen, dass es dicht, dunkel und gewellt war. Menschen, die so gut wie er aussahen, waren gewöhnlich nicht zu ertragen. Schon bei ihrem ersten Zusammentreffen hatte Anna beschlossen, dass sie ihn nicht leiden konnte, aber eine schnelle Nummer mit ihm nicht ausschließen würde. Aber wie sich zeigte, hatte ihr erster Eindruck sie getrogen, denn Wangler war ein stiller, fast schüchterner Typ. Doch während sie eine Bar nach der anderen aufsuchten, hatte sie ein ruhiges Selbstbewusstsein an ihm bemerkt, durch das die Aufsässigen in Schach gehalten wurden. Gleichzeitig war er unaggressiv genug, um alle außer den größten Polizistenhassern zur Vernunft bringen zu können. Dies war, wie sie zugeben musste, das ideale Temperament für einen Polizeibeamten. Ein Temperament, das sie selbst nicht besaß. Anna beschloss erneut, dass sie Wangler nicht leiden konnte.
    Die Reeperbahn war lang und breit und gerade. Deshalb hatte sie sich besonders gut zum Drehen der Schiffstaue – oder »Reepe«, wie sie auf Niederdeutsch hießen – geeignet, die ihr ihren Namen eingetragen hatten. Tagsüber sah sie trübe und billig aus, doch nachts wurde sie zu einer der am stärksten beleuchteten Straßen Deutschlands. Aber während die beiden Beamten um 22.30 Uhr die Reeperbahn entlanggingen, hatte ihr Neonglitzern etwas zutiefst Deprimierendes an sich. Eine gezwungene, fieberhafte Fröhlichkeit. Anna und Wangler hatten zahlreiche schäbige Bars aufgesucht, ohne irgendetwas vom Personal zu erfahren. Hauptsächlich hatten sie mit den Türstehern gesprochen, von denen die meisten, wie die Barkeeper und Kellnerinnen, Wangler mit einem freundlichen Händedruck oder wenigstens mit einem anerkennenden Nicken begrüßten.
    »Ich arbeite seit vier Jahren hier«, erklärte Wangler, während sie durch die Sündige Meile schlenderten, vorbei an einem Erotikshop mit einem Schaufenster voll unglaublich proportionierten Sexspielzeugs. »Da lernt man die Leute kennen.«
    »Macht es Ihnen Spaß, in diesem Revier tätig zu sein?«, fragte Anna.
    »Es ist in Ordnung ... Viele haben eine falsche Vorstellung vom Kiez. Wohl von früher. Sogar Oberrat Kaminski. Er ist hier in den alten Tagen Streifenpolizist gewesen, und ich glaube manchmal, er meint, dass alles vor die Hunde geht, weil die Bordelle zumachen und von trendigen Bars, Musiktheatern und Luxuswohnungen abgelöst werden. Sogar eine Werbeagentur richtet hier ihre Büros ein.«
    »All das ist doch von Vorteil, oder?«
    »Na ja, es gibt auch eine Kehrseite. Früher hat man billigen Sex verkauft. Nun verkauft man Gesöff. Der Kiez ist von der britischen Krankheit angesteckt worden: von Sauforgien, besonders in den Clubs. Dadurch haben wir es nun mit einer anderen Art von Straßenverbrechen zu tun. Weniger Diebstahl, mehr Gewalt.«
    »Funktioniert das Verbot nicht?« Anna meinte die kurz vorher ergangene gerichtliche Verfügung gegen das Tragen von Waffen auf der Reeperbahn und auf dem Kiez. Eine waffenfreie Zone war eingerichtet und durch gelbe Schilder an ihren Grenzen markiert worden.
    »Ein bisschen schon. Aber Ihr Engel scheint sich nicht daran zu halten.«
    Anna lachte. Sie beendeten ihr Gespräch, als sie am Eingang eines weiteren Clubs ankamen. Zwei stiernackige Neandertaler hatten die Hände in der traditionellen Haltung von Sicherheitspersonal vor dem Körper verschränkt.
    »Warum stehen die immer so da?«, wollte Anna von Wangler wissen. »Als müssten sie ihre Eier schützen.«
    »Vielleicht haben sie von Ihnen gehört«, meinte Wangler glucksend.
    »Sie wissen davon?«
    »Jeder weiß davon.« Wangler wandte sich an den ersten Türsteher. »Hallo, Heiner.«
    »Hallo, Theo.« Der gewaltige Türsteher sprach mit einer erstaunlich sanften und hohen Stimme. »Wie geht's?«
    »Muss ja. Heiner, das hier ist Kriminalkommissarin Wolff von der Mordkommission. Sie möchte euch ein paar Fragen stellen.«
    »Sie kann mich alles fragen, jederzeit ...« Der Türsteher lächelte. Sein Kumpel schloss sich ihm an, doch Anna hielt das für eine Reflexhandlung, denn der andere Türsteher wirkte nicht hinreichend hoch entwickelt, um

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