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Wall Street Blues

Wall Street Blues

Titel: Wall Street Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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worden war. Die Schlange vor dem Eingang reichte die 65. Street bis zur First Avenue hinunter, aber es wurde kaum um Posten gerangelt. Manche Hoffnungsvollen waren absolut normale Typen in Straßenanzügen und einfachen Kleidern, andere dagegen waren ein wenig bunter. Ein großer Mann in einem pinkfarbenen Polohemd mit der Aufschrift ICH BIN DER HIT DES TAGES und einer Kappe der Mets auf dem Kopf plauderte mit einem anderen Mann, etwas jünger, in weißem Cut und schwarzer Smokinghose, die in Kniehohe abgeschnitten war und zu der er heruntergerollte weiße Sportsocken und hohe schwarze Reeboks trug. Es waren Mädchen da mit Pfennigabsätzen und glitzernden Miniröcken und ein Mann in mittleren Jahren und eine Frau in schwarzem Leder und Ketten. Und es war das übliche Völkchen aus Soho da, Schriftsteller, Leute aus dem Showbusineß. Jeder war — beinahe — ein Original. Ein Hauch von Punk, ein wenig Madonna und ein Anstrich von S & M.
    »Andy Warhol hatte recht«, sagte Wetzon, als sie vor dem Caravanserie aus dem Taxi stiegen. Die Tür war von zwei tollen Frauen, einer schwarzen und einer weißen, und vier sehr massiven Männern in der Uniform eines privaten Sicherheitsdienstes besetzt.
    »Womit?« fragte Carlos, während er den Fahrer bezahlte.
    »Daß jeder Mensch fünfzehn Minuten lang berühmt sei. Georgie die Berühmtheit. Georgie, wer ist denn das?«
    Eine kräftige Frau in einem langen grauen Rock und einem über den Kopf gezogenen grauen Cape, das wie ein Leichenhemd aussah, schrie vor der Schlange: »Die Sendung ist vorbei! Gott sagt, jeder kann das Land verlassen!« Keiner achtete auch nur im geringsten auf sie, und sie achtete auf niemanden.
    Carlos nahm Wetzons Hand und gab der schwarzen Frau, die ein weißes Strickkostüm, ganz Chanel, mit Kaskaden von Ketten trug, eine quadratische Einladungskarte.
    »Hallo, Carlos, wie läuft’s, Schatz?« begrüßte sie ihn mit einem Klaps auf die flache Hand.
    »Hallo, Gwen. Das ist meine Freundin Les Wetzon.«
    »Guten Tag, Freundin Les.« Gwen zwinkerte Wetzon zu und ließ die Einladung in einen großen Metallbehälter fallen, der in der Art von Picassos blauer Periode bemalt war, Clowns und so.
    »Tag, Carlos«, sagte die andere Türhüterin, die gerade ein Paar in zueinander passenden Goldlamehemden und Jeansoveralls einließ. »Doktor Schweitzer, schön, Sie wieder mal zu sehen.«
    Der Schauplatz war die großartige alte Episkopalkirche St. Eustis, die unter Denkmalschutz stand. Vor Jahren waren die meisten Gemeindemitglieder von St. Eustis nach Queens umgezogen, und die Kirche war nacheinander von anderen Konfessionen genutzt worden, darunter den Hare Krishnas und sogar den Juden für Jesus, aber nicht sehr lange, und sie hatte tatsächlich schon eine Weile leer gestanden, als Georgie Travers auf die Idee gekommen war, eine Disco daraus zu machen, und dann sein exklusives Fitneßcenter über und hinter dem reich verzierten barocken Kirchenbau mit der großen Rosette aus buntem Glas in der Fassade anbaute. Es hatte etwas fast Obszönes und Gotteslästerliches an sich, und immer noch demonstrierten von Zeit zu Zeit Gruppen der »Moralischen Mehrheit« davor.
    Im Innern der wunderschönen Kirche gab es eine kunstvolle Treppe aus Glasbausteinen, die sich in der Mitte teilte und nach oben schwang, jedoch nicht so hoch, daß die Wirkung der schönen gewölbten Decken mit ihren Jugendstilfresken verlorengegangen wäre. Die Treppe führte zu einem Tanzsaal mit Sitzreihen ringsum, die wie eine Tribüne mit drei Rängen aufgebaut, aber mit Samt gepolstert waren.
    Der überraschende Verschnitt von modern und Art deco, vermischt mit der Barockarchitektur der alten Kathedrale, war atemberaubend. Wetzon hatte noch nie etwas Ähnliches gesehen, nicht einmal in den Bühnenbildern der Broadwayshows, in denen sie aufgetreten war. Der Lärm war genauso atemberaubend. Musik dröhnte aus Lautsprechern so groß wie Säulen, und die Beleuchtungseffekte erinnerte die beiden an die Bühne. Als sie sich unter die Masse auf dem Tanzboden mischten, hatte Wetzon das Gefühl, daß die Musik, die Lichter und die wogende Menge die Ereignisse der vergangenen vier Tage wegfegten, als wären sie nie geschehen.
    »Was für eine tolle Stimmung!« schrie sie Carlos zu, als sie sich der Musik überließ. Meine Güte, sie und Carlos hatten nicht mehr miteinander getanzt, seit sie normal geworden war, wie Carlos ihren Entschluß, aus dem Showbusineß auszusteigen, gern nannte. Und das war

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