Wall Street Blues
mehreren Vermittlungen an Loeb, Dawkins, auf die Bezahlung warten müßten, hätten wir bald Ebbe in der Kasse und wären aus dem Geschäft.«
»Das müssen wir sorgfältig überlegen«, sagte Smith, »wenn sich alles ein wenig beruhigt hat.«
Wetzon nickte. War das eine Spitze? Vielleicht nicht. Sie entschied im Zweifelsfall zu Smith’ Gunsten und nahm sich vor, nicht zu empfindlich zu reagieren. Sie sah auf die Uhr. »Steve Switzer hat heute morgen bei Hallgarden vorgesprochen.«
Harold machte die Tür auf. »Steve Switzer für Wetzon auf neun-null.« Er blieb in der Tür stehen.
»Komm rein und hör zu, wenn du willst.« Wetzon hielt es für gut, Harold möglichst viel Einblick zu geben, bevor sie ihn zum Teilhaber aufwerteten.
»Steve? Wie ist es gelaufen?« Sie hörte Autos hupen, Straßenlärm. Er rief von einem Münztelefon an.
Steve Switzer war der Topmakler bei Murray, Allen, einer verrufenen Pennystock-Firma, die nach umlaufenden Gerüchten kurz vor der Schließung durch die SEC stand. Switzer war durch einen ehemaligen Makler von Murray, Allen, den Wetzon im vorigen Jahr bei Pru-Bache untergebracht hatte, an Wetzon verwiesen worden.
Normalerweise dauerte ein Stellenwechsel einen Monat oder mehr vom ersten Vorstellungsgespräch bis zum Arbeitsantritt bei der neuen Firma. Und Wetzon schlug immer vor, daß ein Makler bei mehr als einer Firma vorsprechen sollte, um eine Vergleichsgrundlage zu haben. Aber bei Switzer spürte sie die Eile heraus; und das beunruhigte sie.
»Es lief prima«, überschrie Switzer die Hintergrundgeräusche. »Dieser Garfeld gefällt mir. Ich möchte gern dorthin. Ich kann jetzt nicht länger reden, weil ich auf dem Weg zu Bache bin.«
»Bache?« Wetzon stöhnte innerlich auf.
»Ja. Warren hat mich mit seinem Geschäftsführer in Verbindung gebracht. Klopfen Sie mal bei Garfeld auf den Busch, und ich rufe Sie später wieder an.«
»Scheiße!« sagte Wetzon, als sie auflegte. »Er ist zu Bache unterwegs — Warren hat ihm das besorgt. So ein Beschiß. Hättest du nicht gedacht, Warren würde das mir überlassen? Sie werden Switzer bei Bache mit Handkuß nehmen.«
Smith schüttelte den Kopf und zeigte mit einem sorgfältig manikürten Finger auf Wetzon. »Ich sag’ dir doch, du kannst denen nicht trauen.«
»Und was ist mit Hallgarden?« warf Harold ein.
»Nun, im Moment will er hingehen, aber machen wir uns nichts vor, Hallgarden ist eine kleine Firma. Bache kann ihm ein besseres Angebot machen. Mal sehen, was Andy Garfeld zu sagen hat.«
Wetzon wählte Hallgarden und verlangte Andy Garfeld.
»Er gefällt mir«, hörte sie von Garfeld. »Morgen um neun kommt er wieder, um Gordon Kingston, unseren Chef, kennenzulernen.«
»Wir müssen uns bei ihm beeilen, Andy, weil er eben jetzt mit Bache spricht. Und zwar nicht durch mich vermittelt.«
»Ich lasse mir was einfallen. Er soll mich anrufen, wenn Sie wieder von ihm hören. Ach ja, und noch was... sagen Sie ihm, wie er sich anziehen soll.«
»Was meinen Sie«, fragte sie kleinlaut. »Was hatte er an?«
»Sportjacke, gestreiftes Hemd, rote Socken. Das geht bei Gordon nicht durch.«
Wetzon legte auf. Sie schüttelte den Kopf. Es war allein Auffassungssache, wie man es betrachtete. Wenn die äußere Erscheinung richtig ist und man die richtigen Worte in einem offenen und selbstbewußten Ton sagt, weckt man keine Zweifel. Makler kleideten sich in der Regel dezent, aber hin und wieder lehnte ein Auftraggeber einen Makler als ungeeignet ab, und oft lag es daran, daß er nicht ordnungsgemäß gekleidet war. Sie erinnerte sich an einen Makler, der seine Lizenz wegen Veruntreuung in mehreren Fällen verloren hatte. Er hatte Cowboystiefel zu seinem dreiteiligen Nadelstreifenanzug getragen, und nachdem er in Schimpf und Schande aus dem Geschäft war, sagte jeder: »Na, das war abzusehen. Er hat wirklich nicht hineingepaßt.« Man konnte mit Vergebung rechnen, wenn man den einen oder anderen legalen Weg ein wenig abkürzte, aber nur, wenn man sich richtig kleidete. Soviel zur Individualität in einer Branche, die sich mit ihrem Unternehmungsgeist brüstete.
Aber bei allen ungeschriebenen Gesetzen der Kleidung oder der sogenannten Kleiderordnung — wenn die Zahlen des Maklers groß genug waren, wenn er genug Umsatz für seine Firma machte, wurde individualistisches Verhalten für etwas exzentrisch gehalten, aber die Firmenchefs sahen darüber hinweg. Einer der Topmakler in einer größeren Firma in der Wall Street trug Jeans im
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