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Wall Street Blues

Wall Street Blues

Titel: Wall Street Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Meyers
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ich muß nicht irgendwohin gehen. Ich werde hier respektiert. Und ich habe meine Meinung über Garfeld geändert. Er ist ein Schwächling.«
    Sie legte mit einem lauten Stöhnen auf und schlug mit beiden Händen auf die Steppdecke. Wie konnte es nur so falsch laufen? Was für eine Frage. Jederzeit, im Lauf jeder Verhandlung, konnte etwas schiefgehen. Aber sie hätten Switzer ein Angebot machen müssen, auf der Stelle, heute morgen, und die Sache wäre erledigt gewesen.
    Sie rief Andy Garfeld an. »Andy, ich habe eben mit Steve gesprochen. Was ist denn los?«
    »Also, ganz offen, Wetzon, Gordon meinte, er hat nicht genug Klasse für uns. Außerdem liegt die Beschwerde eines Kunden gegen Switzer vor.«
    »Klasse. Um Himmels willen, Andy. Sie kennen seinen Hintergrund. Er hat nicht versucht, etwas zu verheimlichen. Er hat Ihnen von der Beschwerde erzählt, und er hat dieses Schiedsverfahren gewonnen.«
    »Wetzon, ich meine, Steve sollte Gordon heute nachmittag anrufen und ihm sagen, wie gern er hier arbeiten möchte.«
    »Glauben Sie im Ernst, er würde das tun?« Wetzon hielt es für unwahrscheinlich, aber wer weiß. »Ich hälfe es für beleidigend. Meinen Sie ehrlich, Kingston würde seine Meinung ändern?«
    »Nein.« Garfeld machte einen Rückzieher. »Aber ein Versuch kann nicht schaden.«
    »In diesem Fall, Andy, werde ich ihm sagen, er kann es vergessen.«
    »Tut mir leid, Wetzon. Schicken Sie mir ein paar andere vorbei. Und sagen Sie Steve, daß es mir leid tut.«
    Switzer hatte recht. Garfeld hatte wirklich kein Rückgrat. Sie notierte Stichworte über ihre Gespräche mit Garfeld und Switzer auf der Rückseite von Switzers »Fahndungsblatt« und verstaute es wieder in ihrer Aktentasche. Sie würde es über das Wochenende ruhen lassen und sich am Montag noch einmal mit Switzer befassen. Falls sie den Tag erlebte. Sie lächelte reumutig. Nett, Wetzon. Ein guter Tag für schwarzen Humor.
    Ihre Gleichgültigkeit beunruhigte sie. Sie erledigte ihre Arbeit, als wäre nichts geschehen. War sie hart geworden? War Geld jetzt die Hauptsache für sie geworden, nicht mehr die Menschen? War es so: okay, Barry tot, Georgie tot, wirklich schlimm, der nächste Makler, bitte?
    Nein, nein, es war durchaus nicht so. Sie behandelte einen Makler nie, als wäre er ein Stück Vieh, wie andere Headhunter es taten. Jeder war ein Individuum mit seinen ganz besonderen Problemen. Sie hörte immer sehr genau zu, und sie hatte sich immer etwas darauf eingebildet, daß sie einen Makler nie wissentlich zu einer Firma geschickt hatte, die sie von seiner Persönlichkeit und seinem Arbeitsstil her nicht für geeignet gehalten hatte.
    Schwächling. Da wir gerade von Schwächlingen reden — daß sich nur der Schwächling in diesem Zimmer bitteschön behauptet. Du weißt, wer du bist.
    Sie zog das zerknitterte Seidenband mit den mauve Moosröschen aus ihrer Handtasche, strich es auf dem Bett glatt und starrte es an. Es sah ganz sicher genauso aus. Sie drehte es um. Trotz aller Zweifel war sie nicht auf das Etikett von Bloomingdale’s gefaßt gewesen.

W etzon fuhr normalerweise äußerst ungern mit der U-Bahn zur Wall Street. Der IRT war ein Mülleimer. Die Böden des alten Zugs waren abgetreten und Stücke aus dem Linoleum gerissen, und wohin man blickte, lag Dreck, Teile von Zeitungen, Bonbonpapier, weggeworfene Essensreste. Graffiti bedeckten Fenster, Sitze und Türen ebenso wie die Streckenpläne der U-Bahn. Pech für die Touristen, die Graffiti so malerisch fanden. Mindestens eine Coladose rollte bei den ruckhaften Bewegungen des Zugs hin und her, wobei der restliche Inhalt sich auf den schmutzigen Boden ergoß, so daß man mit den Schuhen kleben blieb. Der Lärm der U-Bahn war noch schlimmer. Das Kreischen und Quietschen der Räder auf den Schienen war ohrenbetäubend.
    Am anderen Ende des Wagens lag ein Penner auf dem Rücken, schlief stinkend auf mehreren Sitzen, hatte die ganze Seite des Wagens für sich, isoliert und ignoriert von den übrigen Passagieren. Niemand schien sich über seinen Duft oder sein Benehmen aufzuregen. Die New Yorker waren anscheinend fähig, nicht wahrzunehmen, was sie nicht sehen oder womit sie nichts zu schaffen haben wollten. Wie wenn man bei Verwesungsgeruch den Atem anhielt. Oder einen richtigen Krieg im Fernsehen sah. Vielleicht.
    Der Zug hielt an der 14. Street, und nur eine der Türen ging auf. Jemand polterte herein und setzte sich schräg gegenüber von ihr hin. Auf den ersten Blick war der neue

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