Wallander 01 - Mörder ohne Gesicht
Gardinen waren zugezogen. Er sah auf die Uhr. Drei Minuten nach Mitternacht. Rydberg war nicht zurückgekommen. Also war im Polizeipräsidium von Ystad alles ruhig.
Mit schnellen Schritten überquerte er die Straße und öffnete die Tür, die in den Garten des leerstehenden Hauses führte. Er tastete sich in der Dunkelheit vor und fand die Bank, von der Rydberg gesprochen hatte. Hier hatte er eine gute Übersicht. Um sich warm zu halten, begann er auf und ab zu gehen, fünf Schritte hin und fünf zurück.
Das nächste Mal, als er auf die Uhr sah, war es erst zehn Minuten vor eins. Das würde eine lange Nacht werden. Er hatte jetzt schon angefangen zu frieren. Er sah sich den Sternenhimmel |232| an, um die Zeit irgendwie rumzukriegen. Als ihm der Nacken weh tat, begann er wieder hin und her zu gehen.
Um halb zwei erlosch das Licht im Erdgeschoß. Kurt Wallander meinte aus dem ersten Stock ein Radio zu hören.
Rune Bergman scheint ein Nachtmensch zu sein, dachte er.
Vielleicht wird man so, wenn man vorzeitig pensioniert ist?
Fünf Minuten vor zwei fuhr auf der Straße ein Auto vorbei. Kurz danach noch eins. Dann war es wieder still.
Im ersten Stock brannte noch Licht. Kurt Wallander fror.
Fünf Minuten vor drei erlosch das Licht. Kurt Wallander horchte auf das Radio. Aber es war alles still. Er schlug sich die Arme um den Leib, um sich warm zu halten.
Im Kopf summte er die Töne eines Straußwalzers.
Das Geräusch war so leise, daß er es kaum hören konnte.
Ein Schnappen in einem Patentschloß. Das war alles. Kurt Wallander brach mitten in seiner Armbewegung ab und horchte.
Danach ahnte er den Schatten.
Der Mann mußte sich sehr leise bewegt haben. Aber trotzdem erkannte Kurt Wallander Rune Bergman, als er langsam in den Garten auf der Rückseite des gelben Hauses verschwand. Kurt Wallander wartete einige Sekunden. Dann kletterte er vorsichtig über den Zaun. Es war schwierig, sich in der Dunkelheit zu orientieren, aber er bemerkte doch einen schmalen Weg zwischen einem Nebengebäude und dem Garten, der spiegelverkehrt zu Bergmans Haus lag. Er bewegte sich schnell. Viel zu schnell dafür, daß er so gut wie nichts sah.
Dann kam er auf der Parallelstraße zur Rosenallee heraus.
Wäre er auch nur eine Sekunde später gekommen, hätte er niemals sehen können, daß Rune Bergman nach rechts in eine Seitenstraße abbog.
Einen Augenblick zögerte er. Sein Auto stand nur fünfzig Meter weiter geparkt. Wenn er es jetzt nicht holte und Bergman irgendwo in der Nähe ein Auto abgestellt hatte, würde er keine Chance mehr haben, ihm zu folgen.
|233| Wie ein Wahnsinniger rannte er zum Auto. Es knackte in den steifgefrorenen Gelenken, und schon nach wenigen Schritten war er außer Atem. Er riß die Autotür auf, fummelte ungeschickt an den Schlüsseln herum und entschied sich schnell dafür, wenn möglich, Rune Bergman den Weg abzuschneiden.
Er bog in die Straße ein, die er für die richtige hielt. Zu spät bemerkte er, daß es eine Sackgasse war. Er fluchte und setzte zurück. Rune Bergman kannte wahrscheinlich viele Straßen, zwischen denen er wählen konnte. Außerdem lag in der Nähe ein Park.
Entscheide dich, dachte er wütend. Entscheide dich schon, verdammt noch mal.
Er fuhr zu dem großen Parkplatz, der zwischen der Rennbahn von Jägersro und den großen Kaufhäusern lag. Er war kurz davor aufzugeben, als er Rune Bergman entdeckte. Er stand in einer Telefonzelle neben einem neugebauten Hotel, an der Einfahrt zu den Rennställen.
Kurt Wallander bremste und schaltete den Motor und die Scheinwerfer ab.
Der Mann in der Telefonzelle hatte ihn nicht gesehen.
Ein paar Minuten später hielt ein Taxi vor dem Hotel. Rune Bergman setzte sich auf den Rücksitz des Taxis, und Kurt Wallander ließ den Motor an.
Das Taxi fuhr auf die Schnellstraße, Richtung Göteborg. Kurt Wallander ließ einen Lastwagen überholen, bevor er die Verfolgung aufnahm.
Er sah auf die Tankanzeige. Weiter als bis Halmstad würde er das Taxi nicht verfolgen können.
Plötzlich sah er, wie der Taxifahrer den rechten Blinker betätigte. Er würde also bei der Ausfahrt nach Lund abbiegen. Kurt Wallander folgte ihm.
Das Taxi hielt am Bahnhof. Als Kurt Wallander vorbeifuhr, sah er, daß Rune Bergman gerade dabei war, die Fahrt zu bezahlen. Er bog in eine Querstraße ein und parkte schlampig mitten auf dem Zebrastreifen.
|234| Rune Bergman ging schnell. Wallander folgte ihm im Schatten.
Rydberg hatte recht gehabt. Der Mann war äußerst
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