Wallander 02 - Hunde von Riga
zu bekommen schien. Er war wütend. Er hatte es satt, ständig von geheimnisvollen Unbekannten umgeben zu sein, die darauf bestanden, mit ihm zu reden, und von ihm forderten, daß er Interesse zeigte und zur Zusammenarbeit bereit war. Was sprach eigentlich dagegen, daß dieser Lippman im Auftrag eines der beiden lettischen Obersten handelte?
Er ließ den Wagen stehen und ging zu Fuß die Regimentsgatan in Richtung Zentrum herab. Es war halb zehn, als er die Pizzeria erreichte. Dort waren etwa zehn Tische besetzt. Aber er entdeckte keinen allein sitzenden Mann, der Lippman sein konnte. Er erinnerte sich flüchtig an etwas, das Rydberg ihm einmal erklärt hatte:
Man sollte sich immer überlegen, ob es angebracht ist, der erste oder der letzte zu sein, der zu einem verabredeten Treffpunkt kommt.
Daran hatte er nicht gedacht, wußte aber andererseits auch so nicht, ob es in diesem Fall überhaupt von Bedeutung war. Er setzte sich an einen Ecktisch, bestellte ein Bier und wartete.
|252| Joseph Lippman kam um drei Minuten vor zehn. Zu diesem Zeitpunkt überlegte Wallander bereits, ob man ihn vielleicht aus seiner Wohnung hatte weglocken wollen. Aber als sich die Tür öffnete und ein Mann hereintrat, wußte er sofort, daß es Joseph Lippman war. Der Mann war um die sechzig und trug einen viel zu großen Mantel. Er bewegte sich vorsichtig zwischen den Tischen, als habe er Angst hinzufallen oder auf eine Mine zu treten. Er lächelte Wallander an, zog den Mantel aus und setzte sich ihm gegenüber. Er war wachsam und sah sich verstohlen im Lokal um. An einem der Tische saßen zwei Männer und tauschten ärgerliche Kommentare über eine abwesende Person aus, die sich durch grenzenlose Unfähigkeit auszuzeichnen schien.
Wallander hielt Joseph Lippman für einen Juden. Zumindest sah Lippman so aus, wie er sich einen Juden vorstellte. Die Wangen waren durch die kräftigen Bartstoppeln grau verfärbt, die Augen hinter der randlosen Brille dunkel. Aber was wußte er eigentlich über das Aussehen eines Juden? Nichts.
Die Bedienung kam an den Tisch, und Lippman bestellte eine Tasse Tee. Seine Höflichkeit war so auffällig, daß Wallander dahinter einen Menschen erahnte, der in seinem Leben viele Demütigungen hatte hinnehmen müssen.
»Ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie gekommen sind«, sagte Lippman. Er sprach so leise, daß Wallander sich über den Tisch beugen mußte, um ihn verstehen zu können.
»Sie haben mir keine große Wahl gelassen«, antwortete er. »Zuerst ein Brief, dann ein Anruf. Vielleicht können Sie mir zu erst einmal erklären, wer Sie sind?«
Lippman schüttelte abwehrend den Kopf.
»Wer ich bin, ist unwichtig. Wichtig sind nur Sie, Herr Wallander.«
»Nein«, entgegnete Wallander und spürte, wie die Wut erneut in ihm aufstieg. »Sie verstehen, daß ich nicht gedenke, Ihnen zuzuhören, wenn Sie nicht bereit sind, mir Ihr Vertrauen zu beweisen, indem Sie mir sagen, wer Sie sind.«
|253| Die Bedienung kam mit Tee, und Lippman wartete mit seiner Antwort, bis sie wieder allein waren.
»Meine Rolle ist nur die des Organisators und des Boten«, sagte Lippman. »Wen interessiert schon der Name des Boten? Das ist nicht wichtig. Wir treffen uns heute abend, danach verschwinde ich wieder. Vermutlich werden wir uns niemals wiedersehen. Es ist also nicht in erster Linie eine Frage des Vertrauens, sondern der praktischen Entscheidungen. Sicherheit ist immer eine praktische Frage. Meines Erachtens ist auch Vertrauen eine Angelegenheit praktischer Natur.«
»Dann können wir das Gespräch ebensogut sofort beenden«, erwiderte Wallander.
»Ich habe eine Botschaft von Baiba Liepa für Sie«, sagte Lippman schnell. »Wollen Sie die nicht hören?«
Wallander entspannte sich auf seinem Stuhl. Er betrachtete den ihm gegenübersitzenden Mann, der merkwürdig zusammengesunken schien, als sei seine Gesundheit so angeschlagen, daß er jeden Moment zusammenbrechen könnte.
»Ich will nichts hören, bevor ich weiß, wer Sie sind«, wiederholte er schließlich. »So einfach ist das.«
Lippman setzte die Brille ab und goß vorsichtig Milch in seinen Tee.
»Es geschieht alles nur aus Sorge«, sagte Lippman. »Sorge um Sie, Herr Wallander. In unserer Zeit ist es oft am besten, wenn man so wenig wie möglich weiß.«
»Ich bin in Lettland gewesen«, sagte Wallander. »Ich bin dort gewesen und glaube zu verstehen, was es heißt, ständig überwacht und kontrolliert zu werden. Aber jetzt befinden wir uns in Schweden, nicht
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