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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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in Riga.«
    Lippman nickte nachdenklich.
    »Vielleicht haben Sie recht«, meinte er. »Vielleicht bin ich ein alter Mann, der schon nicht mehr richtig wahrnimmt, wie die Wirklichkeit sich verändert.«
    »Gärtnereien«, sagte Wallander, um ihm weiterzuhelfen. »Die haben doch auch nicht immer gleich ausgesehen?«
    |254| »Ich bin im Herbst 1941 nach Schweden gekommen«, sagte Lippman und rührte mit dem Löffel in seiner Teetasse. »Damals war ich ein junger Mann mit dem naiven Traum, Künstler zu werden, ein großer Künstler. In einer kalten Morgenstunde erblickten wir die gotländische Küste vor uns, und wir begriffen, daß wir es geschafft hatten, obwohl das Boot leckte und mehrere von denen, die mit mir zusammen flohen, schwer erkrankt waren. Wir waren unterernährt, wir hatten Tuberkulose. Aber ich erinnere mich an diese eisige Stunde in der Morgendämmerung. Es war Anfang März, und ich beschloß, eines Tages ein Bild von der schwedischen Küste zu malen, die für mich die Freiheit verkörperte. So konnte sie aussehen, die Pforte zum Paradies, erstarrt und kalt, ein paar schwarze Klippen, die im Nebel zu erkennen waren. Aber ich malte dieses Motiv nie. Statt dessen wurde ich Gärtner. Jetzt lebe ich davon, schwedischen Unternehmen Vorschläge für Zierpflanzen zu unterbreiten. Ich habe festgestellt, daß besonders die Angestellten von Computerfirmen ein unerschöpfliches Bedürfnis haben, ihre Geräte zwischen Grünpflanzen zu verstecken. Das Bild vom Paradies werde ich niemals malen. Ich muß mich damit zufriedengeben, daß ich es zumindest gesehen habe. Ich weiß, daß das Paradies viele Pforten hat, genauso wie die Hölle. Man muß lernen, diese Pforten zu unterscheiden, sonst ist man verloren.«
    »Und das konnte Major Liepa?«
    Lippman schien nicht erstaunt, daß Wallander den Namen des Majors in das Gespräch einführte.
    »Major Liepa wußte, wie die Pforten aussahen«, sagte er langsam. »Aber das war nicht der Grund für seinen Tod. Er starb, weil er gesehen hatte, wer durch sie ein- und ausging. Gestalten, die das Licht fürchten, da das Licht bewirkt, daß Menschen wie Major Liepa sie sehen können.«
    Wallander hatte das Gefühl, daß Lippman ein tief religiöser Mensch war. Er drückte sich aus, als wäre er ein Pfarrer, der vor einer unsichtbaren Gemeinde stand.
    |255| »Ich habe fast mein ganzes Leben im Exil verbracht«, fuhr Lippman fort. »Die ersten zehn Jahre, bis Mitte der fünfziger Jahre, glaubte ich wohl immer noch, eines Tages in mein Heimatland zurückkehren zu können. Danach kamen die langen sechziger und siebziger Jahre, in denen ich die Hoffnung völlig aufgegeben hatte. Nur die ganz alten im Exil lebenden Letten, nur die ganz Alten und die ganz Jungen und die Verrückten glaubten, die Welt werde sich so verändern, daß wir eines Tages in das verlorene Land zurückkehren könnten. Sie glaubten an den dramatischen Wendepunkt, während ich ein quälendes Ende der Tragödie erwartete, aus der es kein Entrinnen mehr zu geben schien. Aber plötzlich kam Bewegung in die Dinge. Wir bekamen merkwürdige Berichte aus unserer alten Heimat, vor Optimismus strotzende Berichte. Wir sahen, daß das Riesengebilde Sowjetunion ins Wanken geriet, als ob das verschleppte Fieber endlich ausgebrochen wäre. Konnte es sein, daß, woran wir nicht zu glauben gewagt hatten, trotz allem eintraf? Wir wissen es noch nicht. Wir müssen damit rechnen, noch ein weiteres Mal um die Freiheit betrogen zu werden. Die Sowjetunion ist geschwächt, aber das kann auch ein vorübergehender Zustand sein. Die uns zur Verfügung stehende Zeit ist knapp. Das wußte Major Liepa, und das trieb ihn an.«
    »Wir«, sagte Wallander. »Wer ist das, wir?«
    »Alle in Schweden lebenden Letten gehören einer Organisation an«, antwortete Lippman. »Wir haben uns als Ersatz für die verlorene Heimat in verschiedenen Gruppen zusammengeschlossen. Wir haben versucht, den Menschen ihre Kultur zu bewahren, wir haben Hilfsnetze aufgebaut, wir haben Fonds eingerichtet. Wir haben Notrufe eingefangen und versucht, sie zu beantworten. Wir haben ständig dafür gekämpft, nicht vergessen zu werden. Unsere Exilorganisationen sind unsere Art gewesen, die verlorenen Städte und Dörfer zu ersetzen.«
    Die gläserne Tür der Pizzeria wurde geöffnet, und ein einzelner |256| Mann trat ein. Lippman reagierte sofort. Wallander erkannte den Mann. Er hieß Elmberg und war der Besitzer einer Tankstelle in Ystad.
    »Es besteht kein Grund zur Unruhe«,

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