Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
Personen zu erkennen. Der schielende Mann schien der Leiter oder Sprecher dieses Empfangskomitees zu sein, er hockte sich vor Wallander und begann zu sprechen.
    »Unsere Lage ist sehr ernst«, sagte der Mann. »Wir werden alle laufend überwacht, da die Polizei fürchtet, daß Major Liepa Dokumente versteckt hat, die ihre Existenz bedrohen könnten.«
    »Hat Baiba Liepa die Papiere ihres Mannes gefunden?«
    »Noch nicht.«
    »Weiß sie, wo sie sich befinden? Hat sie überhaupt eine Ahnung, wo er sie versteckt haben kann?«
    »Nein. Aber sie ist überzeugt davon, daß Sie ihr helfen können.«
    »Wie soll ich ihr helfen können?«
    »Sie sind unser Freund, Herr Wallander. Sie sind ein Polizist, der es gewohnt ist, solche Rätsel zu lösen.«
    Sie sind verrückt, dachte Wallander erregt. Sie leben in einer Traumwelt, sie haben jeglichen Realitätssinn verloren. |269| Es kam ihm vor, als sei er der letzte Strohhalm, an den sie sich noch klammern konnten, ein Strohhalm, der sagenhafte Ausmaße angenommen hatte. Auf einmal glaubte er zu verstehen, was Unterdrückung und Angst aus Menschen machen konnten. Offensichtlich wuchs ihre Hoffnung auf unbekannte Erlöser ins Unermeßliche. Major Liepa war anders gewesen. Er hatte sich nur auf sich selbst verlassen und auf die Freunde und Vertrauten, mit denen er sich umgab. Für ihn war die Wirklichkeit Anfang wie Ende der Ungerechtigkeiten gewesen, die Lettland prägten. Er war religiös, hatte aber darauf verzichtet, seine Religion von einem Gott verdunkeln zu lassen. Jetzt, da der Major nicht mehr lebte, hatten sie keinen Anführer mehr, und deshalb sollte der schwedische Polizist Kurt Wallander die Arena betreten, sich den Mantel um die Schultern legen und das Werk fortsetzen.
    »Ich muß so schnell wie möglich Baiba Liepa treffen«, wiederholte er. »Das ist das einzig Wichtige.«
    »Sie werden sie heute noch sehen«, antwortete der schielende Mann.
    Wallander war sehr müde. Am liebsten hätte er jetzt gebadet und wäre in ein Bett gekrochen. Er mußte schlafen, er konnte sich nicht mehr auf sein Urteilsvermögen verlassen, wenn er übermüdet war. Er hatte Angst, einen fatalen Fehler zu begehen.
    Der Schielende hockte immer noch vor ihm. Wallander bemerkte erst jetzt, daß er einen Revolver im Hosenbund trug.
    »Was geschieht, wenn Major Liepas Papiere gefunden worden sind?« fragte er.
    »Wir müssen Wege finden, sie zu veröffentlichen«, antwortete der Mann. »Aber vor allen Dingen müssen wir dafür sorgen, daß sie außer Landes kommen und bei Ihnen veröffentlicht werden. Es wird ein umwälzendes Ereignis sein, ein historisches Ereignis. Die Welt wird endlich erfahren, was geschehen ist, immer noch in diesem geschundenen Land geschieht.«
    |270| Er hatte das dringende Bedürfnis zu protestieren, er wollte diese verwirrten Menschen auf den von Major Liepa eingeschlagenen Weg zurückführen. Aber sein müdes Gehirn konnte sich nicht an das englische Wort für Erlöser erinnern, es konnte nur registrieren, daß er sich in einem Spielzeuglager in Riga befand und nicht mehr weiterwußte.
     
    Dann ging alles sehr schnell.
    Das Tor zur Lagerhalle wurde aufgerissen, Wallander stand von seinem Stuhl auf und sah Inese, die schreiend zwischen den Regalen entlanglief. Er hatte keine Ahnung, was geschehen war. Dann folgte eine heftige Explosion, und er warf sich hinter eines der mit Puppenköpfen gefüllten Regale.
    Die Halle wurde von Leuchtkugeln erhellt, laute Detonationen erschütterten die Mauern, aber erst als er sah, wie der schielende Mann seine Waffe zog und feuerte, begriff er, daß sie unter schwerem Beschuß standen. Er kroch tiefer zwischen die Regale. Irgendwo in dem Rauch und Durcheinander war ein Gestell mit Harlekinfiguren umgestürzt, er gelangte zu einer Wand und kam nicht weiter. Die Schießerei war ohrenbetäubend. Er hörte jemanden aufschreien, und als er sich umdrehte, sah er, daß Inese über den Stuhl gefallen war, auf dem er gerade noch gesessen hatte. Ihr Gesicht war blutüberströmt. Ein Schuß hatte sie genau ins Auge getroffen. Sie war tot. Im gleichen Moment warf der schielende Mann einen Arm hoch. Er war getroffen worden, aber Wallander konnte nicht erkennen, ob er tot oder nur verwundet war. Er mußte verschwinden, aber er war in einer Ecke gefangen, und die ersten uniformierten Männer stürmten mit Maschinenpistolen herein. Einer Eingebung folgend riß er ein Regal mit russischen Babuschkapuppen um, die Puppen regneten auf seinen Kopf herab,

Weitere Kostenlose Bücher