Wallander 02 - Hunde von Riga
schlich er, sich im Schatten haltend, davon. Er folgte einem Zaun, der sich um eine Fabrik zog, und gelangte schließlich auf eine schlechtbeleuchtete Straße. Nach wie vor wußte er nicht, wo er sich befand. Aber in der Ferne hörte er ein Rauschen wie von einer belebten Verkehrsader, und er beschloß, auf dieses Geräusch zuzugehen. Hier und da traf er andere Menschen und sandte einen dankbaren Gruß an Joseph Lippman, der vorausschauend genug gewesen war, von ihm zu fordern, die Kleider anzuziehen, die Preuss in einer zerschlissenen Reisetasche mitgebracht hatte. Über eine halbe Stunde lang ging er auf den Verkehrslärm zu, versteckte sich zweimal in der Dunkelheit vor Streifenwagen und dachte angestrengt darüber nach, was er zu tun hatte. Schließlich mußte er einsehen, daß es nur einen einzigen Menschen gab, an den er sich wenden konnte. Das Risiko war groß, aber er hatte keine andere Wahl. Auf jeden Fall würde er gezwungen sein, eine Nacht in einem Versteck zu verbringen, er wußte noch nicht, wo. Der Abend war kalt, und er mußte etwas zu essen bekommen, um die Nacht zu überstehen.
Ihm wurde klar, daß er niemals den ganzen Weg bis Riga zu Fuß zurücklegen konnte. Sein Knie schmerzte, und vor |276| Müdigkeit war ihm schwindlig. Es gab nur eins, er mußte ein Auto stehlen. Er schreckte vor dem Gedanken zurück, aber er hatte keine andere Wahl. Wallander erinnerte sich an einen geparkten Lada auf einer Straße, an der er gerade vorbeigekommen war. Er hatte nicht vor einem Wohnhaus gestanden und einen seltsam verlassenen Eindruck gemacht. Er kehrte um und ging wieder zurück. Währenddessen versuchte er sich zu erinnern, wie schwedische Autodiebe Schlösser knackten und Motoren kurzschlossen. Aber was wußte er schon über einen Lada? Vielleicht ließ er sich mit den Methoden schwedischer Autoknacker gar nicht kurzschließen?
Der Wagen war grau und hatte eine verbeulte Stoßstange. Wallander stand im Schatten und betrachtete das Auto und seine Umgebung. Rundherum lagen nur unbeleuchtete Fabrikanlagen. Er ging zu einem Drahtzaun, der halb eingestürzt neben einer abgerissenen Verladerampe lag. Die Ruine mochte einmal eine Fabrik gewesen sein. Mit seinen steifgefrorenen Fingern gelang es ihm, ein Stück Draht abzudrehen, das ungefähr dreißig Zentimeter lang war. Er formte das eine Ende zu einer Schlinge und ging dann schnell zu dem Wagen.
Es war einfacher, als er gedacht hatte, den Draht an der Scheibe herunterzulassen und das Autoschloß aufzuziehen. Er stieg schnell ein und suchte das Zündschloß und die richtigen Kabel. Er verfluchte die Tatsache, daß er keine Streichhölzer dabei hatte, der Schweiß lief ihm das Hemd hinunter, und er fror schon bald so sehr, daß er zitterte. Schließlich zerrte er in purer Verzweiflung das ganze Kabelwirrwarr heraus, das hinter dem Zündschloß hing, riß die Halterung des Zündschlosses ab und verband die losen Enden. Ein Gang war eingelegt, und der Wagen machte einen Ruck nach vorne, als der Motor zündete. Er zerrte und zog am Schaltknüppel, bis er den Leerlauf gefunden hatte, und verband die Kabelenden sorgfältiger. Der Wagen sprang an. Er suchte erfolglos nach der Handbremse, zog an allen Knöpfen, die es am Armaturenbrett gab, um das Licht einzuschalten, und legte dann den ersten Gang ein.
|277| Das ist ein Alptraum, dachte er. Ich bin ein schwedischer Polizist und kein Verrückter mit deutschem Paß, der in der lettischen Hauptstadt Autos knackt. Er fuhr in die Richtung, in die er zu Fuß gegangen war, versuchte die Gänge zu finden, und wunderte sich, daß es in dem Auto so nach Fisch stank.
Nach einer Weile kam er auf die Hauptverkehrsstraße, deren Lärm er gefolgt war. Auf der Auffahrt hätte er fast den Motor abgewürgt. Jetzt konnte er die Lichter von Riga sehen, das Viertel um das Hotel »Latvija« finden und sich dann zu einem der kleinen Restaurants zu schleppen, die er bei seinem letzten Aufenthalt gesehen hatte. Wieder sandte er einen Dank an Joseph Lippman, der dafür gesorgt hatte, daß Preuss ihn mit lettischem Geld versah. Er wußte nicht, wieviel er eigentlich hatte, hoffte aber, daß es für eine Mahlzeit reichen würde. Er nahm die Brücke, die über den Fluß führte, und bog nach links auf die Uferstraße ab. Der Verkehr war nicht sonderlich dicht, aber er blieb hinter einer Straßenbahn stecken, und wütendes Hupen eines Taxifahrers, der hinter ihm zu einer Vollbremsung gezwungen wurde, ließ ihn zusammenfahren.
Er verlor die
Weitere Kostenlose Bücher