Wallander 02 - Hunde von Riga
Schreibtisches auf, in der die Kopie einer Stellenanzeige lag. Die Gummifabrik in Trelleborg suchte einen neuen Sicherheitschef. Unter der Kopie lag die Bewerbung, die Wallander vor ein paar Wochen geschrieben hatte. Jetzt dachte er ernsthaft darüber nach, sie abzuschicken. Wenn die Polizeiarbeit zu einem Spiel mit Informationen wurde, die entweder nach außen drangen oder ohne ersichtlichen Grund zurückgehalten wurden, wollte er nicht mehr mitspielen. Er nahm seine Arbeit als Polizist sehr ernst. Tote in Rettungsbooten verlangten seine ganze Geistesgegenwart. Er konnte sich kein Dasein vorstellen, in dem Polizeiarbeit nicht rationalen und moralischen Prinzipien unterlag, die niemals in Frage gestellt werden durften.
Seine Gedankengänge wurden unterbrochen als Svedberg die Tür mit dem Fuß aufstieß und hereinkam.
»Wo um alles in der Welt bist du gewesen?« fragte Wallander.
Svedberg sah ihn erstaunt an.
»Ich habe doch eine Nachricht auf deinem Tisch hinterlassen«, sagte er. »Hast du sie nicht gesehen?«
Der Zettel war auf den Boden gefallen. Wallander hob ihn auf und las, daß Svedberg bei den Meteorologen auf dem Flughafen Sturup zu finden sei.
»Ich dachte, ich könnte etwas schneller sein«, sagte Svedberg. »Ich kenne einen der Jungs auf dem Flugplatz. Wir beobachten zusammen Vögel, draußen auf Falsterbonäs. Er hat |46| mir geholfen zu berechnen, woher das Boot gekommen sein kann.«
»Sollte das nicht der Wetterdienst machen?«
»Ich dachte, es würde so vielleicht schneller gehen.«
Er zog ein paar zusammengerollte Blätter aus der Tasche und breitete sie auf dem Tisch aus. Wallander sah eine Reihe von Diagrammen und Zahlenkolonnen.
»Wir haben eine Berechnung auf der Grundlage durchgeführt, daß das Boot etwa fünf Tage lang getrieben ist«, sagte Svedberg. »Weil die Windrichtung in den letzten Wochen konstant gewesen ist, konnten wir zu einem Resultat kommen. Aber leider zu einem Resultat, das uns kaum klüger machen wird.«
»Was heißt das?«
»Daß unser Boot vermutlich sehr weit getrieben ist.«
»Das heißt?«
»Das es sowohl aus Estland wie auch aus Dänemark stammen kann.« Wallander betrachtete Svedberg ungläubig.
»Kann das wirklich stimmen?«
»Ja. Du kannst Janne ja selbst fragen.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte Wallander. »Geh damit zu Björk und erzähl es ihm. Dann wird er es ans Außenministerium weiterleiten. Vielleicht sind wir die ganze Geschichte dann los.«
»Wieso los?«
Wallander berichtete, was im Laufe des Tages passiert war. Svedberg wirkte immer niedergeschlagener.
»Ich mag es nicht, etwas sausen zu lassen, wenn ich einmal damit angefangen habe«, sagte Svedberg.
»Es ist ja noch nichts entschieden. Ich erzähle doch nur, was gerade vor sich geht.«
Svedberg verschwand zu Björk, und Wallander fuhr fort, seine Bewerbung bei der Gummifabrik in Trelleborg durchzulesen. Ununterbrochen schaukelte das Boot mit den ermordeten Männern durch sein Bewußtsein.
|47| Um vier Uhr bekam er Mörths Obduktionsbericht. Bis die Laborproben analysiert worden waren, konnte Mörth nur einen vorläufigen Bericht abliefern. Aber die Männer waren vermutlich seit einer Woche tot. Wahrscheinlich waren sie ebenso lange dem Salzwasser ausgesetzt. Der eine Mann war ungefähr achtundzwanzig, der andere ein paar Jahre älter. Beide waren völlig gesund gewesen. Sie waren gefoltert worden; osteuropäische Zahnärzte hatten ihre Zähne behandelt.
Wallander schob den Bericht zur Seite und sah aus dem Fenster. Es war schon dunkel, und er war hungrig.
Über das Haustelefon teilte Björk ihm mit, daß sich das Außenministerium erst in den Morgenstunden wieder mit neuen Instruktionen melden würde.
»Dann fahre ich jetzt nach Hause«, antwortete Wallander.
»Tu das«, sagte Björk. »Ich frage mich, wer eigentlich dieser Journalist war?«
Am nächsten Tag erfuhren sie es. Die Schlagzeilen im überregionalen ›Expressen‹ verkündeten einen sensationellen Leichenfund an der schonischen Küste. Der Titelseite konnte man zudem entnehmen, daß es sich bei den Ermordeten vermutlich um Bürger der Sowjetunion handelte. Das Außenministerium sei eingeschaltet worden. Die Polizei in Ystad habe ausdrücklich die Anweisung erhalten, die ganze Sache zu vertuschen. Die Zeitung verlangte, den Grund dafür zu erfahren.
Aber bis Wallander diese Schlagzeilen endlich zu sehen bekam, war es schon drei Uhr nachmittags geworden.
Und bis dahin war es bereits ein ereignisreicher Tag
Weitere Kostenlose Bücher