Wallander 02 - Hunde von Riga
konnte sie ihm eine Botschaft übermitteln, einen Einblick in das Verborgene, das nur für
Herrn Eckers
bestimmt war?
Er sprach ihr sein Beileid aus, verbindlich, aber trotzdem überzeugend. Danach stellte er die üblichen Fragen und hatte dabei immer das Bild eines Unbekannten vor sich, der zuhörte und sie beobachtete.
»Wie lange waren Sie mit Major Liepa verheiratet?«
»Acht Jahre.«
»Ich meine mich zu erinnern, daß Sie keine Kinder haben.«
»Wir wollten noch etwas warten. Ich habe meinen Beruf.«
»Was machen Sie beruflich?«
»Ich bin Ingenieur. Aber in den letzten Jahren habe ich hauptsächlich wissenschaftliche Literatur übersetzt, unter anderem für unsere Technische Hochschule, an der ich auch unterrichte.«
Wie hast du es geschafft, mir das Frühstück zu servieren? überlegte er. Wer ist dein Vertrauter im Hotel »Latvija«?
Der Gedanke lenkte ihn ab. Er stellte die nächste Frage.
»Und das ließ sich nicht mit Kindern in Einklang bringen?«
Er bereute seine Frage sofort. Sie war privat, tat nichts zur Sache. Er entschuldigte sich, sagte, daß er keine Antwort erwarte, und fuhr statt dessen schnell fort.
»Frau Liepa«, begann er. »Sie müssen darüber nachgedacht und sich gefragt haben, was Ihrem Mann zugestoßen ist. Ich habe die Verhörprotokolle gelesen. Sie sagen aus, daß Sie nichts wissen, nichts verstehen, nichts ahnen. Das ist sicher richtig. Sie wollen, daß der Mörder Ihres Mannes gefaßt wird und seine gerechte Strafe erhält. Trotzdem bitte ich Sie, noch einmal zurückzudenken. An den Tag, an dem Ihr Mann aus Schweden heimkehrte. Wegen des Schocks, den Sie erlitten haben müssen, als Sie von der Ermordung Ihres Mannes erfuhren, könnten Sie etwas vergessen haben.«
Ihre Antwort gab ihm das erste heimliche Signal.
»Nein«, sagte sie entschieden. »Ich habe nichts vergessen. |140| Rein gar nichts.«
Herr Eckers. Ich war nicht durch etwas Unerwartetes schockiert. Was wir befürchtet hatten, traf ein.
»Es könnte auch etwas sein, was noch länger zurückliegt«, sagte Wallander, der jetzt vorsichtig vorging, um sie nicht in Schwierigkeiten zu bringen.
»Mein Mann hat nie von seiner Arbeit erzählt«, sagte sie. »Er hätte seine Schweigepflicht als Polizist niemals verletzt. Ich war mit einem Mann verheiratet, der sehr hohe moralische Ansprüche hatte.«
Sehr richtig, dachte Wallander. Und genau diese hohen Ansprüche haben ihn getötet.
»Ich hatte denselben Eindruck von Major Liepa«, sagte er. »Obwohl wir in Schweden nur wenige Tage miteinander zu tun hatten.«
Verstand sie jetzt, daß er auf ihrer Seite war? Daß er sie deshalb gebeten hatte, zu kommen? Um einen Schleier aus Fragen zu weben, die eigentlich bedeutungslos waren?
Er bat sie nochmals, nachzudenken. Sie umkreisten die Fragen einige Male, bis Wallander glaubte, es sei an der Zeit, das Gespräch zu beenden. Er drückte auf eine Klingel und ging davon aus, daß Sergeant Zids sie hören würde. Dann erhob er sich und gab ihr die Hand.
Woher wußtest du, daß ich nach Riga gekommen bin, überlegte er. Jemand muß es dir erzählt haben. Jemand, der wollte, daß wir uns treffen. Aber warum?
Der Sergeant kam und führte Baiba Liepa zu einem abgelegenen Ausgang. Wallander stellte sich an das zugige Fenster und betrachtete den Burghof. Über der Stadt fiel Schneeregen. Hinter der hohen Mauer konnte er Kirchtürme und einzelne Hochhäuser erkennen.
Plötzlich kam ihm der Gedanke, daß alles nur Einbildung war. Seine Phantasie war mit ihm durchgegangen, seine Vernunft hatte keinen Widerstand geleistet. Er ahnte eine Verschwörung, wo es keine gab, er saß wahrscheinlich den Verschwörungsmythen über den Ostblock auf, angeblich konspirierte |141| hier jeder gegen jeden. Welche Gründe hatte er denn schon, Murniers und Putnis zu mißtrauen? Die Erklärung für Baiba Liepas Auftritt in seinem Hotel, als Putzfrau verkleidet, konnte ganz harmlos sein.
Er wurde in seinen Gedanken unterbrochen, als Oberst Putnis an die Tür klopfte und hereinkam. Putnis wirkte müde, sein Lächeln war maskenhaft.
»Das Verhör mit dem Verdächtigen ist erst einmal abgebrochen worden«, sagte er. »Leider hat der Mann nicht die von uns erhofften Geständnisse gemacht. Im Moment kontrollieren wir verschiedene seiner Angaben. Danach werde ich das Verhör fortsetzen.«
»Worauf beruhen die Verdächtigungen?« fragte Wallander.
»Wir wissen seit längerem, daß er Leja und Kalns als Kuriere und Mithelfer benutzt hat«, antwortete
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