Wallander 02 - Hunde von Riga
dachte über Murniers Worte nach. Plötzlich begann er, für den blassen Mann mit dem aufgedunsenen Gesicht eine gewisse Sympathie zu empfinden. Das Gesagte schien auch ihm gegolten zu haben, vielleicht sogar hauptsächlich ihm.
»Wir wissen, daß es Labors gibt, die Amphetamin und andere synthetische Drogen herstellen«, fuhr Murniers fort. »Wir vermuten außerdem, daß asiatische und südamerikanische Kokainkartelle versuchen, in den osteuropäischen Ländern ein Netz neuer Transportwege aufzubauen. Sie sollen die alten, direkt nach Westeuropa verlaufenden Routen ersetzen, die von der dortigen Polizei entdeckt und somit unbrauchbar wurden. Aber im jungfräulichen Osteuropa sieht man die Chance, allzu wachsamen Polizisten zu entgehen. Sagen wir einmal, daß wir uns leichter schmieren und korrumpieren lassen.«
»Wie Major Liepa?«
»Er hätte sich niemals so weit erniedrigt, Bestechungsgelder anzunehmen.«
»Ich meine, daß er ein wachsamer Polizist war.«
»Wenn er sterben mußte, weil er wachsam war, hoffe ich, daß Oberst Putnis es bald herausbekommt.«
»Wer ist verhaftet worden?«
»Ein Mann, den wir schon oft in Verbindung mit den Geschäften der beiden Ermordeten gebracht haben. Ein ehemaliger Schlachter aus Riga, der einer der Köpfe des organisierten Verbrechens ist, das wir ständig bekämpfen. Er ist merkwürdigerweise immer vor dem Gefängnis davongekommen. Vielleicht können wir ihn diesmal festnageln.«
Der Wagen bremste und hielt an einem mit Schrott und |135| zusammengebrochenen Kränen übersäten Kai. Sie stiegen aus und gingen zur Mauer.
»Dort lag Major Liepa.«
Wallander sah sich um. Er registrierte Eindrücke.
Wie waren die Mörder und der Major hierher gekommen? Warum ausgerechnet hierher? Daß der Kai abgeschieden lag, reichte als Grund nicht aus. Wallander betrachtete die umgestürzten Reste eines Krans.
Please
, hatte Baiba geschrieben. Murniers stand rauchend neben ihm und stampfte mit den Füßen, um die Kälte abzuwehren.
Warum will er mich nicht über den Tatort aufklären? dachte Wallander. Warum will Baiba Liepa mich heimlich treffen?
Wenn jemand nach Herrn Eckers fragt, müssen Sie kommen.
Warum bin ich eigentlich in Riga?
Das Unbehagen, das er am Morgen verspürt hatte, kehrte zurück. Es rührte wohl daher, daß er als ein Fremder zu Besuch in einem unbekannten Land war. Polizist zu sein hieß, sich in einer Wirklichkeit zurechtzufinden, von der man selbst ein Teil war. Hier war er ein Außenseiter. Vielleicht konnte er als
Herr Eckers
in diese unbekannte Landschaft eindringen? Der schwedische Polizeibeamte Kurt Wallander war hier völlig hilflos.
Er kehrte zum Auto zurück.
»Ich möchte gern ihre Berichte studieren«, sagte er. »Die Obduktion, die Tatortuntersuchung, die Fotos.«
»Wir werden unser Material übersetzen lassen«, antwortete Murniers.
»Vielleicht geht es mit einem Dolmetscher schneller«, schlug Wallander vor. »Sergeant Zids spricht ausgezeichnet Englisch.«
Murniers lächelte abwesend und zündete sich eine neue Zigarette an.
»Sie haben es eilig«, stellte er fest. »Sie sind ungeduldig. Natürlich kann Sergeant Zids Ihnen die Berichte übersetzen.«
Als sie zum Polizeihauptquartier zurückgekehrt waren, traten |136| sie hinter einen Vorhang und betrachteten durch ein Spiegelfenster Oberst Putnis und den Mann, den er gerade verhörte. Der Raum, in dem das Verhör stattfand, war bis auf einen kleinen Holztisch und zwei Stühle leer. Oberst Putnis hatte die Uniformjacke ausgezogen. Der andere Mann war unrasiert und sah sehr müde aus. Er antwortete nur sehr langsam auf Putnis’ Fragen.
»Das kann dauern«, meinte Murniers nachdenklich. »Aber früher oder später werden wir die Wahrheit erfahren.«
»Welche Wahrheit?«
»Ob wir recht haben oder nicht.«
Sie kehrten in die innersten Hohlräume des Labyrinths zurück, und Wallander bekam ein kleines Zimmer im gleichen Flur wie Murniers. Sergeant Zids kam mit einem Ordner, der die Ermittlungsunterlagen zum Tode des Majors enthielt. Bevor Murniers sie allein ließ, sprach er mit dem Sergeanten kurz auf lettisch.
»Baiba Liepa wird heute nachmittag um zwei Uhr zum Verhör erscheinen«, sagte Murniers.
Wallander erschrak.
Sie haben mich verraten, Herr Eckers. Warum haben Sie das getan?
»Ich hatte eher an ein Gespräch gedacht«, sagte Wallander. »Kein Verhör.«
»Ich hätte ein anderes Wort als Verhör verwenden sollen«, entschuldigte sich Murniers. »Lassen Sie es mich so
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