Wallander 02 - Hunde von Riga
Eingangstüren drängte.
»Folgen Sie mir«, war alles, was sie sagte. Hinter einer vom Alter gezeichneten Grabkapelle befand sich eine Seitentür, sie drehte den Schlüssel im Schloß herum, der größer war als ihre Hand. Sie kamen auf einen Kirchhof hinaus. Die Frau sah sich schnell um und eilte dann an einigen verfallenen Grabsteinen und rostigen Eisenkreuzen vorbei. Sie verließen den Kirchhof durch eine Pforte, die auf eine Nebenstraße führte, und ein unbeleuchtetes Auto startete aufheulend seinen Motor. Diesmal war sich Wallander vollkommen sicher, daß es ein Lada war. Der Mann am Steuer war noch sehr jung. Er rauchte eine dieser starken Zigaretten, und Baiba Liepa lächelte Wallander kurz zu, scheu und unsicher. Dann fuhren sie los, auf eine der großen Hauptstraßen. Wallander glaubte die Valdemarstraße zu erkennen. Sie fuhren nach Norden, an einem Park vorbei, an den sich Wallander noch von seiner Fahrt mit Sergeant Zids erinnerte, und bogen dann links ab. Baiba Liepa fragte den Fahrer etwas und bekam ein Kopfschütteln zur Antwort. Wallander sah, daß er oft in den Rückspiegel schaute. Wieder bogen sie links ab, und der Fahrer trat plötzlich das Gaspedal durch und wendete, so daß sie auf die Gegenfahrbahn kamen. Wieder kamen sie an dem Park vorbei – Wallander glaubte nun sicher zu sein, daß es der Vermanspark war – und fuhren zurück, in Richtung Stadtzentrum. Baiba Liepa saß nach vorne gebeugt, als gebe sie dem Fahrer mit ihren Atemzügen an seinem Nacken lautlose Fahranweisungen. Sie fuhren auf den Aspasiasboulevard, passierten noch einen dieser verlassenen Plätze und überquerten dann den Fluß auf einer Brücke, die Wallander nicht kannte.
Sie kamen in eine Gegend, die aus heruntergekommenen Fabriken und trostlosen Wohnblöcken bestand. Der Fahrer drosselte das Tempo, Baiba Liepa lehnte sich im Sitz zurück, und Wallander nahm an, daß ihnen niemand gefolgt war.
|189| Wenige Minuten später hielt der Wagen vor einem verwahrlosten, zweistöckigen Haus. Baiba Liepa nickte Wallander zu, und sie stiegen aus. Eilig führte sie ihn durch eine eiserne Pforte einen Schotterweg hinauf und öffnete die Tür mit einem Schlüssel, den sie schon in der Hand hielt. Wallander hörte das Geräusch des Wagens, der hinter ihnen wieder verschwand. Er betrat einen Flur, in dem es leicht nach Desinfektionsmitteln roch. Unter einem roten Lampenschirm leuchtete eine schwache Glühbirne, und er dachte, daß er sich genausogut am Eingang zu einem verrufenen Nachtclub befinden könnte. Sie hängte ihren schweren Mantel auf, während er seine Jacke auf einen Stuhl legte und ihr anschließend in ein Wohnzimmer folgte, in dem sein Blick zuerst auf ein großes Kruzifix fiel, das an einer Wand hing. Sie schaltete das Licht an, es wurde hell, und sie war plötzlich völlig ruhig und bedeutete ihm durch ein Zeichen, sich zu setzen.
Später, viel später, würde er sich darüber wundern, daß er sich nicht an dieses Zimmer, in dem seine Treffen mit Baiba Liepa stattfanden, erinnern konnte. Das einzige, was ihm im Gedächtnis haften blieb, waren das schwarze, wohl einen Meter hohe Kruzifix, das zwischen zwei Fenstern hing, die sorgfältig zugezogenen Vorhänge und der penetrante Geruch von Desinfektionsmitteln im Flur. Aber der abgewetzte Sessel, in dem er Baiba Liepas erschreckender Geschichte zugehört hatte, welche Farbe hatte er gehabt? Wallander konnte sich nicht mehr erinnern. Es war, als hätten sie sich in einem Raum mit unsichtbaren Möbeln unterhalten. Das schwarze Kruzifix hätte ebensogut in der Luft hängen können, getragen von einer göttlichen Kraft.
Sie hatte ein rostbraunes Kleid getragen, das ihr – wie er später erfuhr – der Major aus Ystad mitgebracht hatte. Sie habe es im Gedenken an ihn angezogen, hatte sie gesagt, und auch zur Erinnerung an das Verbrechen, das derjenige an ihr begangen hatte, der ihren Mann so schändlich verraten und ermordet hatte. Nur wenn einer von ihnen zur Toilette mußte, |190| die links auf dem Flur lag, oder wenn Baiba Liepa in der Küche Tee kochte, verließen sie den Raum. Meist war er es, der sprach und die Fragen stellte, die sie mit beherrschter Stimme beantwortete.
Als erstes schafften sie
Herrn Eckers
ab. Es gab ihn jetzt nicht mehr, weil er nicht mehr gebraucht wurde.
»Warum gerade dieser Name?« hatte er gefragt.
»Einfach ein Name«, hatte sie geantwortet. »Vielleicht gibt es ihn, vielleicht aber auch nicht. Ich habe ihn erfunden. Man kann ihn sich
Weitere Kostenlose Bücher