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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Unfähigkeit und stellte sich zum Urinieren an das Pissoir. Die Tür zur Gaststätte wurde geöffnet, ein Mann kam herein und schloß eine der Toilettentüren hinter sich.
    Wallander erkannte den Mann, der nach ihm das Lokal betreten hatte, denn er hatte einen Blick für Kleidung und Gesichter. Er zögerte nicht und ging das Risiko eines Irrtums ein. Er verließ hastig die Toilette und lief durch das verrauchte |186| Lokal zum Ausgang. Auf der Straße sah er sich um und versuchte etwas in den Schatten der Türeingänge zu erkennen, doch da war niemand. Dann ging er schnell den gleichen Weg zurück, den er gekommen war, bog in eine schmale Gasse und lief dann so schnell er konnte, bis er wieder auf den Boulevard stieß. An einer Haltestelle hielt ein Bus, und es gelang ihm, sich noch hineinzudrängeln, ehe sich die Türen schlossen. Niemand fragte nach seinem Fahrschein. An der nächsten Haltestelle stieg er aus, verließ die Hauptstraße und bog wieder in eine der unzähligen Gassen. Im Licht einer Straßenlaterne zog er schnell den Stadtplan heraus, um sich zu orientieren. Er hatte immer noch genügend Zeit und beschloß, ein paar Minuten zu warten, bevor er weiterging. Er glitt in eine dunkle Einfahrt. Nach zehn Minuten war noch immer niemand vorbeigekommen, der seinen Verdacht erregt hätte. Vielleicht wurde er immer noch beschattet, doch er hatte zumindest getan, was in seiner Macht stand, um seine Bewacher abzuschütteln.
     
    Neun Minuten vor sieben betrat er die Kirche, in der sich schon viele Menschen versammelt hatten. In einem der Seitenschiffe gab es noch einen Platz am Rand einer Bank. Er setzte sich und betrachtete die Menschen, die unablässig in die Kirche hineinströmten. Nirgendwo konnte er seine Beschatter ausmachen. Nirgendwo entdeckte er Baiba Liepa.
    Das mächtige Dröhnen der Orgel traf ihn wie ein Schlag. Die gewaltige Musik schien den Kirchenraum zu sprengen. Wallander erinnerte sich, daß sein Vater ihn als Kind einmal in eine Kirche mitgenommen hatte, die Orgelmusik hatte ihn so erschreckt, daß er fürchterlich zu weinen begonnen hatte. Heute beruhigte ihn die Musik. Bach hat kein Heimatland, dachte er. Seine Musik spielt man überall. Wallander ließ die Musik auf sich wirken.
Murniers könnte angerufen haben,
dachte er.
Etwas, was der Major bei seiner Rückkehr aus Schweden gesagt hat, kann Murniers dazu gezwungen haben,
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ihn zum Schweigen zu bringen. Major Liepa kann Anweisung erhalten haben, sich zum Dienst einzufinden. Nichts spricht dagegen, daß er im Polizeihauptquartier selbst ermordet wurde.
    Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Er hatte das Gefühl, beobachtet zu werden. Er sah sich zu beiden Seiten hin um, konnte aber nur Menschen entdecken, die sich auf die Musik konzentrierten. In dem breiten Mittelschiff konnte er nur Rücken und Nacken sehen. Er ließ den Blick weiter schweifen, bis er das gegenüberliegende Seitenschiff erreichte.
    Baiba Liepa begegnete seinem Blick. Sie saß in der Mitte einer Bank, umgeben von alten Menschen. Sie trug ihre Pelzmütze und wandte den Blick ab, als sie sicher war, daß Wallander sie entdeckt hatte. Während der nächsten Stunde vermied er es, sie noch einmal anzusehen. Aber einige Male wurde sein Blick unweigerlich von ihr angezogen, und er sah, daß sie mit geschlossenen Augen den Orgelklängen lauschte. Ein unwirkliches Gefühl überfiel ihn. Vor ungefähr einer Woche hatte ihr Mann auf dem Sofa seiner Wohnung in der Mariagatan gesessen, und sie hatten gemeinsam Maria Callas’ Stimme in › Turandot‹ gelauscht, während der Schneesturm vor den Fenstern tobte. Jetzt saß er in einer Kirche in Riga, der Major war tot, und seine Witwe lauschte dort mit geschlossenen Augen einer Fuge von Bach.
    Sie muß wissen, wie wir von hier wegkommen können, dachte er. Sie hat die Kirche als Treffpunkt gewählt, nicht ich.
    Als das Konzert vorbei war, erhoben sich die Zuhörer sofort, und es entstand ein Gedränge am Kirchenportal. Wallander wurde von dieser Eile überrumpelt. Die Musik schien niemals existiert zu haben, die Zuhörer verließen die Kirche wie nach einer plötzlichen Bombendrohung. Im Gedränge verlor er Baiba Liepa aus den Augen und ließ sich mit den Menschen treiben, die es nicht erwarten konnten, aus der Kirche herauszukommen. Aber kurz vor der Kirchenvorhalle entdeckte er |188| sie wieder, verborgen in den Schatten des linken Seitenschiffs. Er fing ein Zeichen von ihr auf und riß sich aus dem Strom, der zu den

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