Wallander 03 - Die weisse Löwin
vermerkt.
Wallander wandte sich an Blomstrand. »Wir brauchen jemanden, der Russisch spricht. Jemanden, der das hier augenblicklich übersetzen kann.«
»Wir können es ja mit meiner Frau versuchen«, sagte Blomstrand.
Wallander sah ihn fragend an.
»Sie hat Russisch studiert«, erklärte Blomstrand. »Sie interessiert sich sehr für russische Kultur. Vor allem für Schriftsteller des 19. Jahrhunderts.«
Wallander machte die Tasche zu und klemmte sie sich unter den Arm. »Wir fahren zu ihr. Hier wird sie ja bloß nervös bei all der Hektik.«
Blomstrand wohnte in einem Reihenhaus nördlich von Kalmar. Seine Frau war intelligent und aufgeschlossen; Wallander mochte sie sofort. Während sie in der Küche Kaffee tranken und ein paar belegte Brote aßen, nahm sie die Papiere mit in ihr Arbeitszimmer, wo sie ab und zu im Wörterbuch blätterte.
|492| Es dauerte fast eine Stunde, bis sie den Text übersetzt und niedergeschrieben hatte. Aber dann war er vollständig, und Wallander konnte Konovalenkos Tagebuch studieren. Es war, als würden ihm seine eigenen Erlebnisse aus einer anderen Perspektive erzählt. Viele Details in verschiedenen Aktionen erhielten jetzt ihre Erklärung. Vor allem aber wurde ihm klar, daß der unbekannte Begleiter, dem es außerdem gelungen war, die gelbe Villa unbemerkt zu verlassen, ein ganz anderer war, als er gedacht hatte. Südafrika hatte einen Ersatzmann für Victor Mabasha geschickt. Einen Afrikaner namens Sikosi Tsiki. Er war über Dänemark gekommen. »Sein Training ist nicht perfekt, aber ausreichend«, hatte Konovalenko geschrieben. »An Kaltblütigkeit und Willenskraft übertrifft er Mabasha.«
Dann gab es einen Hinweis auf einen Mann in Südafrika namens Jan Kleyn. Wallander vermutete, daß es sich um einen wichtigen Mittelsmann handelte. Dagegen enthielten die Papiere nichts über die Organisation, die es nach Wallanders Auffassung im Hintergrund der Geschehnisse geben mußte.
Er berichtete Blomstrand, was er erfahren hatte. »Ein Afrikaner ist dabei, Schweden zu verlassen. Heute morgen war er noch in der gelben Villa. Jemand muß ihn gesehen haben, jemand muß ihn irgendwohin gebracht haben. Er kann nicht über die Brücke gegangen sein. Wir können ausschließen, daß er sich noch auf Öland befindet. Möglicherweise verfügte er über einen eigenen Wagen. Wichtiger ist aber, daß er versuchen wird, Schweden zu verlassen. Wir wissen nur nicht, wo. Er muß gestoppt werden.«
»Das wird schwer werden«, sagte Blomstrand.
»Schwer, aber nicht unmöglich«, erwiderte Wallander. »Trotz allem ist die Anzahl Schwarzer, die täglich schwedische Grenzkontrollen passiert, wohl eher gering.«
Wallander bedankte sich bei Blomstrands Frau. Sie fuhren zum Polizeigebäude zurück. Eine Stunde später lief die Fahndung nach dem unbekannten Afrikaner in ganz Schweden auf vollen Touren. Ungefähr zur selben Zeit ermittelte die Polizei einen Taxichauffeur, der an diesem Morgen einen Afrikaner vom Parkplatz am Ende des Hemmansväg abgeholt hatte. Das war geschehen, |493| nachdem der Mercedes gebrannt hatte und die Brücke blockiert gewesen war. Wallander nahm an, daß sich der Afrikaner zunächst einige Stunden in der Nähe des Hauses versteckt hatte. Der Taxifahrer war mit ihm ins Stadtzentrum von Kalmar gefahren. Dort hatte er bezahlt, war ausgestiegen und verschwunden. Eine genau Personenbeschreibung konnte der Mann nicht geben. Der Afrikaner war groß und muskulös, trug helle Hosen, ein weißes Hemd und eine dunkle Jacke und sprach englisch. Mehr konnte der Taxifahrer nicht sagen.
Es war inzwischen spät am Nachmittag. In Kalmar konnte Wallander nichts mehr tun. Wenn sie den flüchtigen Afrikaner schnappten, wäre das Puzzle vollständig.
Man bot Wallander an, ihn nach Ystad zu fahren, aber er lehnte ab. Er wollte allein sein. Kurz nach fünf verabschiedete er sich von Blomstrand, entschuldigte sich dafür, daß er während einiger Stunden dieses Tages so respektlos das Kommando übernommen hatte, und verließ dann Kalmar.
Er hatte auf die Karte geschaut und festgestellt, daß die Strecke über Växjö die günstigste war. Die Wälder schienen ihm unendlich. Als ob sie eine stumme Verweigerung verkörperten, wie er selbst sie erlebte. In Nybro hielt er an und aß. Obwohl er am liebsten alles vergessen wollte, was um ihn herum geschah, zwang er sich, in Kalmar anzurufen, um sich zu erkundigen, ob man den Afrikaner gefunden habe. Die Antwort war negativ. Er setzte sich ins
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