Wallander 03 - Die weisse Löwin
Konovalenko ging zu Boden und blieb regungslos liegen.
Im selben Augenblick entdeckte Victor Mabasha, daß sein linker Zeigefinger abgetrennt war. Er hing noch an der Hand, lediglich von einem dünnen Hautfetzen gehalten.
Er taumelte aus dem Haus. Daß er Konovalenko den Schädel zerschmettert hatte, daran zweifelte er nicht. Er sah, wie das Blut aus dem Stumpf seines Fingers gepumpt wurde. Dann biß er die Zähne zusammen und riß den Hautfetzen ab. Der Finger landete |177| auf dem Kies. Er kehrte in das Haus zurück, wickelte ein Küchentuch um die blutende Hand, warf ein paar Sachen in seine Tasche und suchte dann nach der Pistole. Er schlug die Tür hinter sich zu, startete den Mercedes und fuhr mit durchdrehenden Rädern davon. Auf dem schmalen Weg fuhr er viel zu schnell. Irgendwo begegnete ihm ein anderer Wagen, eine Kollision konnte er gerade noch vermeiden. Dann fuhr er auf eine breitere Hauptstraße und zwang sich, die Geschwindigkeit zu verringern.
Mein Finger, dachte er. Der ist für dich,
songoma
. Führ mich nun heim. Jan Kleyn wird es verstehen. Er ist ein kluger
nkosi
. Er weiß, daß er sich auf mich verlassen kann. Ich werde tun, worum er mich bittet. Selbst wenn es nun nicht mit dem Gewehr geschieht, das achthundert Meter weit schießt. Ich werde tun, worum er mich bittet, und er wird mir eine Million Rand zahlen. Aber jetzt brauche ich deine Hilfe,
songoma
. Deshalb habe ich dir meinen Finger gegeben.
Konovalenko saß reglos in einem der Ledersessel. Der Schmerz bohrte in seinem Kopf. Wäre der Schlag mit der Wodkaflasche direkt von vorn erfolgt und nicht von der Seite, wäre er tot gewesen. Aber er lebte. Ab und zu drückte er ein Handtuch mit Eisstücken gegen die Schläfe. Er zwang sich, trotz der Schmerzen klar zu denken. Es war nicht das erste Mal, daß sich Konovalenko in einer Krisensituation befand.
Nach ungefähr einer Stunde hatte er alle Alternativen erwogen und wußte, was er tun würde. Er sah auf die Uhr. Zwei Stunden am Tag hatte er die Möglichkeit, in Südafrika anzurufen und in direkten Kontakt mit Jan Kleyn zu treten. Bis zur nächsten Anrufzeit waren es noch zwanzig Minuten. Er ging in die Küche und packte frische Eiswürfel in das Handtuch.
Zwanzig Minuten später saß er auf dem Dachboden vor der Funkanlage und rief Südafrika. Es dauerte einige Minuten, bis Jan Kleyn antwortete. Sie nannten keine Namen, wenn sie miteinander sprachen.
Konovalenko berichtete, was passiert war. »Das Bauer ist geöffnet worden, und der Vogel ist verschwunden. Er hat es nicht geschafft, das Singen zu erlernen.«
|178| Es dauerte eine Weile, bis Jan Kleyn begriff, was geschehen war. Als er jedoch im Bilde war, fiel seine Antwort eindeutig aus. »Der Vogel muß eingefangen werden. Ein anderer Vogel wird als Ersatz geschickt. Nähere Informationen später. Nun muß alles noch einmal von vorn beginnen.«
Als das Gespräch beendet war, fühlte Konovalenko eine tiefe Zufriedenheit. Jan Kleyn hatte verstanden, daß Konovalenko das getan hatte, was man von ihm erwartete.
Es gab nämlich noch einen vierten Punkt, von dem Victor Mabasha nichts erfahren hatte, und der war ganz einfach.
»Prüfe ihn«, hatte Jan Kleyn gesagt, als sie in Nairobi zusammengetroffen waren und Victor Mabashas Zukunft planten. »Teste sein Durchhaltevermögen, finde seine schwachen Punkte heraus. Wir müssen sicher sein, daß er geeignet ist. Es geht um zu viel, als daß wir uns dem Zufall ausliefern könnten. Wenn er nicht taugt, muß er ersetzt werden.«
Victor Mabasha hat nicht getaugt, dachte Konovalenko. Unter der harten Schale verbarg sich schließlich nur ein verwirrter und sentimentaler Afrikaner.
Jetzt war es Konovalenkos Sache, ihn zu finden und zu töten. Dann würde er sich bald mit Jan Kleyns neuem Kandidaten befassen müssen.
Es war ihm klar, daß das, was er tun mußte, nicht einfach werden würde. Victor Mabasha war verwundet, und er handelte unberechenbar. Aber Konovalenko zweifelte nicht daran, daß er es schaffen würde. Während seiner Zeit beim KGB war er für sein Stehvermögen bekannt gewesen. Er war ein Mann, der niemals aufgab.
Konovalenko legte sich aufs Bett und schlief ein paar Stunden.
Im Morgengrauen packte er seine Tasche und verstaute sie im BMW.
Bevor er die Haustür abschloß, schärfte er die Sprengladung, die das ganze Gebäude in die Luft jagen sollte. Er stellte den Zeitzünder auf drei Stunden ein. Wenn die Explosion erfolgte, wäre er schon weit weg.
Kurz nach sechs
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