Wallander 03 - Die weisse Löwin
auch wirklich verdiene.
Er nahm an, daß Konovalenko regelmäßigen Kontakt mit Südafrika unterhielt und daß der Funkkontakt stattfand, während er mit dem Auto unterwegs war. Er war sich auch sicher, daß Konovalenko nur gute Beurteilungen an Jan Kleyn zu senden hatte.
Aber das Gefühl einer herannahenden Katastrophe verließ ihn nicht. Mit jeder Stunde näherte er sich dem entscheidenden Punkt, an dem sein ganzes Wesen fordern würde, daß er Konovalenko tötete. Er wußte, daß er gezwungen war, es zu tun, um seine Ahnen nicht zu verletzen und sein Selbstgefühl nicht zu verlieren.
Aber nichts kam so, wie er es erwartet hatte.
Sie saßen in den Ledersesseln, es war etwa vier Uhr am Nachmittag, und Konovalenko sprach über Schwierigkeiten und Möglichkeiten, eine Liquidation von unterschiedlich konstruierten Hausdächern aus durchzuführen.
Plötzlich erstarrte er. Im selben Augenblick hatte auch Victor Mabasha das Geräusch gehört. Ein Auto näherte sich und hielt an.
Sie saßen regungslos und lauschten. Die Tür eines Wagens wurde geöffnet und wieder zugeworfen.
Konovalenko, der stets eine Pistole, eine einfache Luger, in der Hosentasche seines Trainingsanzuges trug, sprang auf und entsicherte die Waffe. »Duck dich, so daß du vom Fenster aus nicht gesehen werden kannst«, flüsterte er.
Victor Mabasha hockte sich in den toten Winkel neben dem Fenster, hinter den Kamin. Konovalenko öffnete vorsichtig eine Tür, die auf den ungepflegten Garten hinausging, machte sie hinter sich zu und verschwand.
Wie lange Victor Mabasha hinter dem Kamin gesessen hatte, wußte er nicht.
Aber er hockte noch da, als der Pistolenschuß peitschte.
Vorsichtig stand er auf. Durch ein Fenster sah er Konovalenko an der Vorderseite des Hauses, wie er sich über irgend etwas |173| beugte, und ging hinaus. Es war eine Frau, die da auf dem Rücken im feuchten Gras lag. Konovalenko hatte ihr in die Stirn geschossen.
»Wer ist das?« fragte Victor Mabasha.
»Woher soll ich das wissen? Aber sie war allein im Auto.«
»Was wollte sie?«
Konovalenko zuckte die Schultern und antwortete, während er mit dem Fuß die Augen der Frau zudrückte. Lehm von seiner Schuhsohle blieb an ihrem Gesicht haften. »Sie fragte nach dem Weg. Sie hatte sich offenbar verfahren.«
Victor Mabasha konnte nie herausfinden, ob es die Lehmklumpen von Konovalenkos Schuh im Gesicht der Frau waren oder die Tatsache, daß sie erschossen wurde, weil sie nach dem Weg gefragt hatte, jedenfalls beschloß er in diesem Augenblick, Konovalenko zu töten.
Nun hatte er einen weiteren Grund: die unkontrollierte Brutalität des Mannes.
Eine Frau zu töten, die nach dem Weg gefragt hatte, wäre für ihn eine ganz unmögliche Tat. Ebenso könnte er einem toten Menschen niemals die Augen schließen, indem er mit dem Schuh über sein Gesicht fuhr.
»Du bist wahnsinnig«, sagte er.
Konovalenko hob erstaunt die Augenbrauen. »Was hätte ich denn sonst tun sollen?«
»Du hättest ihr sagen können, daß du nicht weißt, wie sie hätte fahren müssen.«
Konovalenko stopfte die Pistole in die Tasche zurück. »Du verstehst immer noch nicht«, sagte er. »Wir existieren nicht. In ein paar Tagen verschwinden wir von hier, und dann wird es sein, als wären wir nie hier gewesen.«
»Sie hat nur nach dem Weg gefragt«, wiederholte Victor Mabasha und fühlte, wie er vor Aufregung zu schwitzen begann. »Es muß doch einen Sinn haben, einen Menschen zu töten.«
»Geh ins Haus. Um das hier kümmere ich mich.«
Durch das Fenster sah er, wie Konovalenko das Auto der Frau rückwärts heransteuerte, ihren Körper im Kofferraum verstaute und dann wegfuhr.
|174| Eine knappe Stunde später war er wieder da. Er kam zu Fuß den Weg entlang.
»Wo ist sie?« fragte Victor Mabasha.
»Begraben.«
»Und das Auto?«
»Auch begraben.«
»Das ist ja schnell gegangen.«
Konovalenko hatte Kaffee aufgesetzt. Er drehte sich zu Victor um und grinste.
»Auch eine Lektion. So gut man auch organisiert, immer geschieht das Unerwartete. Aber genau deshalb ist eine detaillierte Planung notwendig. Hat man eine solche, gibt es auch die Möglichkeit, zu improvisieren. Ohne Organisation schafft das Unerwartete Chaos und Verwirrung.«
Konovalenko wandte sich wieder der Kaffeekanne zu.
Ich töte ihn, dachte Victor Mabasha. Wenn das alles hier vorbei ist, wenn wir uns trennen, töte ich ihn. Es gibt kein Zurück mehr.
In der Nacht lag er schlaflos. Durch die Wand hörte er Konovalenko schnarchen.
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