Wallander 03 - Die weisse Löwin
sie und entwaffnete sie. Dann führte er sie hinaus zu einem wartenden Polizeiauto. Harry Sibande erhob sich. Er zitterte. Eine der Kugeln hatte die Tischplatte durchschlagen und einen Ärmel seiner Jacke aufgeschlitzt.
Jan Kleyn und Franz Malan hatten das Geschehen aufmerksam beobachtet. Alles war sehr schnell gegangen. Aber beide |210| hatten dasselbe gedacht. Genau diese Reaktion, wie sie die weiße Frau gezeigt hatte, war Sinn und Ziel des Massakers vom Vorabend. Nur im größeren Maßstab. Der Haß sollte das Land überschwemmen wie eine gewaltige Sturmflut.
De Beer kam zurück und wischte sich Schweiß und Blut aus dem Gesicht. »Man muß sie verstehen«, sagte er.
Harry Sibande schwieg.
Jan Kleyn und Franz Malan versprachen jede Hilfe, um die de Beer bitten würde. Sie beendeten das Gespräch, indem sie einander versicherten, daß die Terroristentat schnell aufgeklärt werden müßte und auch würde. Dann verließen sie Pinetown gemeinsam in Jan Kleyns Wagen. Sie fuhren auf der Autobahn N2 in Richtung Norden und bogen an einem Schild mit der Aufschrift Umhlanga Rocks zum Meer hin ab. Jan Kleyn hielt vor einem kleinen Fischrestaurant direkt am Strand. Hier wären sie ungestört. Sie bestellten Krebse und tranken Mineralwasser. Vom Meer her wehte ein milder Wind.
Franz Malan zog das Jackett aus. »Nach dem, was ich in Erfahrung bringen konnte, ist Kommissar de Beer ein selten unfähiger Verbrechensbekämpfer«, sagte er. »Sein Kafferkollege soll bedeutend mehr Grips im Kopf haben. Und außerdem ziemlich hartnäckig sein.«
»Ich habe dieselben Informationen«, sagte Jan Kleyn. »Die Untersuchung wird sich im Kreise drehen, bis sich außer den Angehörigen niemand mehr an den Fall erinnert.«
Er legte die Gabel hin und tupfte sich den Mund mit einer Serviette. »Der Tod ist nie angenehm«, fuhr er fort. »Keiner stiftet ein Blutbad an, wenn es nicht unbedingt notwendig ist. Andererseits gibt es keine Sieger ohne Verlierer. Auch keinen Sieg ohne Opfer. Ich nehme an, daß ich im Grunde ein sehr primitiver Darwinist bin. Der Stärkere überlebt, der Überlebende hat folglich das Recht auf seiner Seite. Wenn es in einem Haus brennt, fragt keiner, wo das Feuer ausgebrochen ist, bevor man mit dem Löschen beginnt.«
»Was geschieht mit den drei Männern?« fragte Franz Malan. »Ich kann mich nicht erinnern, einen diesbezüglichen Beschluß gesehen zu haben.«
|211| »Laß uns einen Spaziergang machen, wenn wir gegessen haben«, sagte Jan Kleyn lächelnd.
Franz Malan verstand, daß das bis auf weiteres die Antwort auf seine Frage war. Er kannte Jan Kleyn gut genug, um zu wissen, daß weitere Versuche zwecklos waren. Er würde alles rechtzeitig erfahren.
Beim Kaffee begann Jan Kleyn zu erzählen, warum er Franz Malan unbedingt hatte treffen wollen. »Wie du weißt, leben wir, die wir im geheimen, in verschiedenen Nachrichtendiensten, arbeiten, mit einer Anzahl ungeschriebener Regeln und Prämissen. Eine davon ist, daß wir alle einander überwachen. Das Vertrauen für unsere Kollegen ist immer begrenzt. Wir erschaffen unsere eigenen Instrumente, um unsere persönliche Sicherheit zu kontrollieren. Nicht zuletzt, um darauf zu achten, daß keiner allzuweit auf unser eigenes Gebiet vordringt. Wir legen um uns herum Tretminen aus, weil alle anderen es genauso tun. So entsteht eine Balance, und wir können unsere Arbeit gemeinsam machen. Leider habe ich entdeckt, daß sich jemand allzusehr für meine Datenbanken interessiert. Jemand hat den Auftrag, mich zu überwachen. Und dieser Auftrag muß von sehr weit oben kommen.«
Franz Malan wurde blaß. »Ist der Plan aufgeflogen?«
Jan Kleyn sah ihn mit kalten Augen an.
»So unvorsichtig bin ich natürlich nicht. Nichts, was ich auf meinem Computer habe, kann irgendwelche Aufschlüsse über die Aktion geben, die wir geplant haben und jetzt durchführen. Keine Namen, nichts. Aber es ist nicht auszuschließen, daß eine intelligente Person Schlüsse zieht, die in die richtige Richtung weisen können. Das macht die Sache ernst.«
»Es wird schwer werden, herauszubekommen, wer dahintersteckt.«
»Überhaupt nicht. Ich weiß es schon.«
Franz Malan sah ihn überrascht an.
»Ich bin einfach Schritt für Schritt zurückgegangen. Das ist oft eine außerordentlich brauchbare Methode, um zu einem Resultat zu gelangen. Ich habe mir die Frage gestellt, woher der Auftrag eigentlich kommen könnte. Es dauerte nicht lange, da war mir klar, daß nur zwei Personen ein Interesse
Weitere Kostenlose Bücher