Wallander 05 - Die falsche Fährte
Marsvinsholm rausfahren, wenn sie wieder frei sind?«
»Dieser Bauer wirkte beunruhigt. Ich weiß nicht, wie ich es besser ausdrücken soll. Wenn ich nicht meine Kinder abholen müßte, würde ich selbst hinfahren.«
»Dann fahre ich wohl hin«, sagte Wallander. »Wir treffen uns im Flur, dann kannst du mir den Namen und die Wegbeschreibung geben.«
Ein paar Minuten später verließ Wallander in seinem Wagen das Präsidium. Er bog nach links ab und nahm im Kreisverkehr die Straße in Richtung Malmö. Auf dem Beifahrersitz lag der Zettel, den Martinsson geschrieben hatte. Der Bauer hieß Salomonsson, und Wallander kannte den Weg. Als er auf die E 65 kam, kurbelte er das Seitenfenster herunter. Die gelben Rapsfelder wogten zu |36| beiden Seiten der Straße. Er konnte sich nicht erinnern, wann es ihm zuletzt so gutgegangen war wie jetzt. Er schob eine Kassette mit
Figaros Hochzeit
ein, auf der Barbara Hendricks die Susanna sang, und dachte an Baiba, die er bald in Kopenhagen treffen würde. Bei der Abfahrt nach Marsvinsholm bog er nach links ab, fuhr am Schloß und der Schloßkirche vorbei und bog noch einmal nach links ab. Er warf einen Blick auf Martinssons Wegbeschreibung und bog auf eine schmale Straße ein, die direkt zwischen die Äcker hinausführte. In der Ferne konnte er das Meer erkennen.
Salomonssons Haus war ein gut gepflegtes altes schonisches Langhaus. Wallander stieg aus dem Wagen und blickte sich um. Wohin er auch sah, erstreckten sich die gelben Rapsfelder. Im selben Moment wurde die Tür des Hauses geöffnet. Der Mann, der auf der Treppe stand, war sehr alt. Er hatte ein Fernglas in der Hand. Wallander dachte, daß er sich das Ganze sicher eingebildet hatte. Es kam nur zu oft vor, daß einsame alte Menschen auf dem Land von ihren Phantasien dazu verleitet wurden, die Polizei anzurufen.
»Kurt Wallander von der Polizei in Ystad«, stellte er sich vor.
Der Mann auf der Treppe war unrasiert, und seine Füße steckten in kaputten Holzschuhen.
»Edvin Salomonsson«, sagte der Mann und streckte seine magere Hand aus.
»Erzählen Sie mal, was passiert ist«, sagte Wallander.
Der Mann zeigte auf das Rapsfeld rechts von seinem Haus. »Ich habe sie heute morgen entdeckt. Ich werde früh wach. Schon um fünf Uhr war sie da. Erst glaubte ich, es wäre ein Reh. Dann sah ich durchs Fernglas, daß es eine Frau war.«
»Was tat sie?«
»Sie stand da.«
»Nichts sonst?«
»Sie stand da und starrte.«
»Starrte auf was?«
»Wie soll ich das wissen?«
Wallander seufzte innerlich. Wahrscheinlich hatte der alte Mann ein Reh gesehen. Dann war seine Phantasie mit ihm durchgegangen. »Sie wissen nicht, wer sie ist?« fragte er.
|37| »Ich habe sie noch nie gesehen. Wenn ich wüßte, wer sie ist, hätte ich doch wohl nicht die Polizei angerufen?«
Wallander nickte. »Sie haben sie heute morgen früh zum erstenmal gesehen. Aber Sie haben erst am späten Nachmittag bei der Polizei angerufen?«
»Man will doch nicht unnötig Wirbel machen«, antwortete der Mann einfach. »Die Polizei hat wohl auch so genug zu tun.«
»Sie haben sie durchs Fernglas gesehen. Sie befand sich draußen im Rapsfeld, und Sie haben sie noch nie gesehen. Was taten Sie dann?«
»Ich habe mich angezogen und bin rausgegangen, um ihr zu sagen, daß sie verschwinden soll. Sie hat ja den Raps niedergetrampelt.«
»Und was geschah da?«
»Sie lief weg.«
»Lief weg?«
»Sie versteckte sich im Raps. Duckte sich, so daß ich sie nicht sehen konnte. Zuerst dachte ich, sie wäre abgehauen. Dann entdeckte ich sie wieder im Fernglas. Das passierte wieder und wieder. Am Schluß hatte ich es satt und habe Sie angerufen.«
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«
»Gerade bevor ich anrief.«
»Was tat sie da?«
»Sie stand da und starrte.«
Wallander warf einen Blick hinaus aufs Feld. Er sah nichts als den wogenden Raps.
»Der Polizist, mit dem Sie gesprochen haben, sagte, Sie hätten beunruhigt gewirkt.«
»Was macht ein Mensch in einem Rapsfeld? Da stimmt doch irgendwas nicht.«
Wallander wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden. Ihm war jetzt klar, daß der alte Mann sich etwas eingebildet hatte. Er nahm sich vor, am nächsten Morgen den Sozialdienst einzuschalten. »Da kann ich nicht viel machen«, sagte er. »Sie ist bestimmt schon verschwunden. Und es gibt keinen Grund mehr, sich Sorgen zu machen.«
»Sie ist aber nicht verschwunden. Ich kann sie sehen.«
|38| Wallander drehte sich rasch um und blickte in die Richtung,
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