Wallander 05 - Die falsche Fährte
Menschen gesehen, die sich erhängt hatten, sich Gewehrmündungen in den Mund gedrückt, sich in Stücke gesprengt hatten. Irgendwie hatte er gelernt, das, was er sah, zu ertragen und es dann beiseite zu schieben. Doch das galt nicht für Fälle, in die Kinder oder Jugendliche verwickelt waren. Da war er genauso schutzlos wie in seiner allerersten Zeit als Polizist. Er wußte, daß die meisten Polizisten auf die gleiche Art und Weise reagierten. Wenn Kinder oder Jugendliche starben, gewaltsam, sinnlos, brach die Abwehr, die der |41| Gewöhnung entsprang, zusammen. So würde es auch bleiben, solange er als Polizist arbeitete.
Aber als der Abwehrschild zerbarst, hatte er die einleitende Phase der Ermittlung hinter sich gebracht, und sie war vorbildlich durchgeführt worden. Mit Resten von Erbrochenem um den Mund war er zu Salomonsson gelaufen, der ungläubig sein brennendes Rapsfeld betrachtete, und hatte gefragt, wo im Haus das Telefon sei. Da Salomonsson die Frage nicht verstanden oder sie vielleicht nicht einmal wahrgenommen zu haben schien, hatte er ihn beiseite geschoben und war ins Haus gelaufen. Dort schlug ihm der beißende Geruch des Lebens entgegen, das ein ungewaschener alter Mann führte, und im Flur hatte er das Telefon gefunden. Er hatte die 90 000 angerufen, und die Telefonistin, die das Gespräch annahm, behauptete später, er sei vollkommen ruhig gewesen, als er beschrieb, was geschehen sei, und die große Besetzung anforderte. Die Flammen von dem brennenden Feld hatten so hell durch die Fenster geblendet, als hätten starke Scheinwerfer die Beleuchtung dieses Sommerabends übernommen. Er hatte bei Martinsson zu Hause angerufen und zuerst mit seiner ältesten Tochter und danach mit seiner Frau gesprochen, bis Martinsson aus dem Garten hereingekommen war, wo er den Rasen mähte. So knapp wie möglich beschrieb er, was geschehen war, und bat Martinsson, auch Hansson und Ann-Britt Höglund anzurufen. Danach ging er in die Küche und wusch sich das Gesicht. Als er wieder auf den Hofplatz hinaustrat, stand Salomonsson genauso reglos an derselben Stelle wie vorher, wie gebannt von dem unbegreiflichen Schauspiel. Ein Auto mit einigen der nächsten Nachbarn kam angefahren. Aber Wallander brüllte ihnen entgegen, sich fernzuhalten. Er erlaubte ihnen nicht einmal, sich Salomonsson zu nähern. In der Ferne hatte er die Sirenen der Feuerwehr gehört, die fast immer als erste ankam. Kurz darauf trafen zwei Streifenwagen und ein Krankenwagen ein. Peter Edler war der Leiter des Löschzugs, ein Mann, zu dem Wallander das größte Vertrauen hatte.
»Was ist denn hier los?« fragte er.
»Das erklär ich dir später«, sagte Wallander. »Aber trampelt nicht draußen auf dem Feld herum. Da liegt ein toter Mensch.«
|42| »Das Haus ist nicht bedroht«, sagte Edler. »Was wir tun können, ist eindämmen.«
Dann wandte er sich an Salomonsson und fragte, wie breit die Feldwege und die Gräben zwischen den Feldern seien. Einer der Sanitäter war inzwischen zu Wallander gekommen. Er war ihm schon früher begegnet, doch sein Name fiel ihm nicht ein.
»Gibt es Verletzte?« fragte er.
Wallander schüttelte den Kopf. »Nur eine Tote. Sie liegt draußen auf dem Rapsfeld.«
»Dann brauchen wir einen Leichenwagen«, sagte der Sanitäter sachlich. »Was ist denn passiert?«
Wallander sparte sich die Antwort. Statt dessen wandte er sich an Norén, den er von den Polizisten am besten kannte. »Auf dem Feld liegt eine tote Frau. Solange es brennt, können wir nichts anderes tun als absperren.«
Norén nickte. »Ist es ein Unglücksfall?« fragte er.
»Es ist wohl eher Selbstmord«, antwortete Wallander.
Ein paar Minuten später, ungefähr zur gleichen Zeit, als Martinsson eintraf, bekam er von Norén einen Pappbecher mit Kaffee. Er starrte auf seine Hand und fragte sich, wieso sie nicht zitterte. Kurz darauf kamen Hansson und Ann-Britt Höglund in Hanssons Wagen, und er berichtete den Kollegen, was geschehen war.
Immer wieder benutzte er denselben Ausdruck.
Sie brannte wie eine Fackel.
»Das ist ja entsetzlich«, sagte Ann-Britt Höglund.
»Es war noch viel schlimmer«, sagte Wallander. »Überhaupt nichts tun zu können. Ich hoffe, daß keiner von euch das jemals erleben muß.«
Schweigend sahen sie den Feuerwehrleuten bei der Eindämmung des Brandes zu. Eine große Anzahl Schaulustiger hatte sich bereits eingefunden, wurde jedoch von den Polizisten auf Abstand gehalten.
»Wie sah sie aus?« fragte Martinsson. »Hast
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