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Wallander 05 - Die falsche Fährte

Wallander 05 - Die falsche Fährte

Titel: Wallander 05 - Die falsche Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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nicht mehr los.
    Kurz vor vier hielt er in der Mariagatan. Als er zu seiner Wohnung kam, schloß er vorsichtig auf. Seine Angst vor etwas, das ihm nicht klar war, hielt unvermindert an. Erst als er vorsichtig ihre Tür aufstieß, die angelehnt war, ihren Kopf auf dem Kissen sah und sie atmen hörte, wurde er wieder ruhig.
    Er setzte sich aufs Sofa. Seine Angst war jetzt einem Gefühl der Peinlichkeit gewichen. Er schüttelte den Kopf über sich selbst, schrieb einen Zettel für sie, daß seine Pläne sich geändert hatten und er noch in der Nacht nach Hause gekommen war, und legte ihn auf den Couchtisch. Bevor er sich ins Bett legte, stellte er seinen Wecker auf fünf Uhr. Sjösten stand früh auf, um in den Morgenstunden an seinem Boot zu werkeln. Wie er ihm seinen nächtlichen Aufbruch erklären sollte, wußte er nicht.
    Er lag im Bett und fragte sich, warum er plötzlich in Panik geraten war. Aber er fand keine Antwort.
    Es dauerte lange, bis er einschlief.

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    Als es an der Tür klingelte, wußte er sofort, daß es niemand anders als Baiba sein konnte. Sonderbarerweise beunruhigte ihn das überhaupt nicht, obwohl es ihm sehr schwerfallen würde, ihr zu erklären, warum er ihr nicht gesagt hatte, daß ihre Reise verschoben werden mußte. Doch als er zusammenschrak und sich im Bett aufsetzte, war sie natürlich nicht da. Sein Wecker hatte nur geklingelt, und die Zeiger standen wie ein aufgesperrter Rachen auf drei nach fünf. Nach einem kurzen Moment der Verwirrung schlug er auf den Ausknopf. Dann blieb er vollkommen reglos im Bett sitzen und lauschte in die Stille. Langsam kehrte er in die Realität zurück. Die Stadt war noch nicht erwacht. Außer dem Gezwitscher der Vögel drang kaum ein Laut zu ihm herein und in sein Bewußtsein. Er konnte sich nicht einmal erinnern, ob er von Baiba geträumt hatte oder nicht. Die überstürzte Flucht aus dem Kinderzimmer in Sjöstens Wohnung kam ihm jetzt wie ein unbegreiflicher und peinlicher Aussetzer vor, ein Versagen seiner gewohnten Fähigkeit, überlegt zu handeln. Mit einem geräuschvollen Gähnen stand er auf und ging in die Küche. Linda schlief. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel von ihr. Wenn meine Tochter schon einmal einen ihrer seltenen Besuche bei mir macht, verkehre ich schriftlich mit ihr, auf einer endlosen Anzahl von Zetteln, dachte er. Er las den Zettel und erkannte, daß der Traum von Baiba, sein Erwachen in dem Glauben, sie stehe vor der Tür, trotz allem eine Warnung gewesen war. Als er in der Nacht nach Hause gekommen war, hatte er den Zettel nicht bemerkt. Jetzt sah er, daß Baiba angerufen und Linda aufgetragen hatte, ihm zu sagen, er möchte umgehend anrufen. Er spürte ihre Verärgerung noch in Lindas Mitteilung. Sie war kaum wahrnehmbar, aber sie war da. Er konnte sie nicht anrufen. Noch nicht. Erst spät am Abend oder vielleicht am nächsten Tag würde |414| er anrufen. Oder sollte er Martinsson anrufen lassen? Er würde die bedauerliche Nachricht übermitteln müssen, daß der Mann, mit dem sie nach Skagen fahren wollte, der Mann, der sie in zwei Tagen auf dem Flughafen Kastrup in Empfang nehmen sollte, gerade von der Jagd nach einem Verrückten gejagt wurde, der seinen Mitmenschen Äxte in den Schädel schlug und außerdem noch ihre Skalpe nahm. Was er Martinsson sagen lassen würde, war wahr und zugleich unwahr. Es war eine Lüge mit angeklebten falschen Flügeln, glich einer Wahrheit, konnte verstanden werden. Aber es würde nie erklären oder rechtfertigen können, daß er so feige war, sich nicht wie ein erwachsener Mensch zu benehmen und sie selbst anzurufen.
    Um halb sechs griff er zum Telefon, nicht um Baiba, sondern Sjösten in Helsingborg anzurufen, dem er eine notdürftige Erklärung für sein nächtliches Verschwinden geben wollte. Was konnte er eigentlich sagen? Die Wahrheit am besten. Die Wahrheit über die plötzliche Angst um seine Tochter, die alle Eltern kennen, ohne sich erklären zu können, woher die plötzliche Panik kommt. Doch als Sjösten sich meldete, sagte er etwas ganz anderes, er habe etwas vergessen, eine Verabredung mit seinem Vater am frühen Morgen. Etwas, das Sjösten nie würde kontrollieren können, falls er die Absicht hätte. Oder etwas, das unmöglich durch einen Zufall herauskommen würde, weil die Wege Sjöstens und seines Vaters sich vermutlich nie kreuzen würden. Sie verabredeten, wieder miteinander zu telefonieren, wenn Wallander in Malmö gewesen war.
    Nachher ging es ihm schon viel besser.

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