Wallander 05 - Die falsche Fährte
vertrauenerweckend entgegen. Sie war sehr süß.
»Ein hübsches Mädchen«, sagte er. »Wir wollen hoffen, daß sie eines Tages gesund wird.«
»Ich habe die Hoffnung aufgegeben«, sagte sie. »Ich sehe keinen Grund dafür.«
»Die Ärzte sind tüchtig«, erwiderte Wallander zögernd.
»Eines Tages wird Louise dieses Krankenhaus verlassen«, sagte der Junge plötzlich. Seine Stimme war sehr energisch. Er lächelte Wallander an.
»Vor allem ist es wichtig, daß ihre Familie ihr eine Stütze ist«, sagte Wallander und war sich seiner gestelzten Ausdrucksweise peinlich bewußt.
»Wir stützen sie in jeder Hinsicht«, fuhr der Junge fort. »Die Polizei soll den Mann suchen, der unseren Vater getötet hat. Nicht sie stören.«
»Wenn ich sie im Krankenhaus besuche, dann nicht, um sie zu stören«, sagte Wallander. »Dann geht es gerade um die Aufklärung, an der wir arbeiten.«
»Wir möchten, daß sie auf jeden Fall ihren Frieden hat«, beharrte der Junge.
Wallander nickte.
»Wenn der Staatsanwalt, der die Voruntersuchung leitet, es bestimmt, dann muß ich sie aufsuchen«, sagte Wallander. »Und wahrscheinlich wird es so kommen. Sehr bald. Schon heute oder morgen. Aber ich verspreche, nichts vom Tod ihres Vaters zu sagen.«
»Was wollen Sie denn dann bei ihr?«
|424| »Sie sehen«, sagte Wallander. »Eine Fotografie ist eben doch nur eine Fotografie. Aber ich muß sie mitnehmen.«
»Warum denn?«
Die Frage des Jungen kam sehr plötzlich. Wallander war überrascht von der heftigen Ablehnung, die in der Stimme des Jungen mitschwang.
»Ich muß einigen Personen dieses Bild zeigen«, sagte er. »Nur so kann ich herausfinden, ob sie deine Schwester kennen. Das ist alles.«
»Sie werden es Journalisten geben«, sagte der Junge. »Ihr Gesicht wird auf jedem Aushänger zu sehen sein.«
»Warum sollte ich das tun?« fragte Wallander.
Der Junge sprang aus dem Sofa hoch, beugte sich über den Tisch und raffte die beiden Bilder an sich. Wallander konnte nicht reagieren, so schnell ging es. Doch er faßte sich rasch und spürte, wie er ärgerlich wurde.
»Jetzt bin ich gezwungen, mit einem gerichtlichen Beschluß wiederzukommen, daß Sie mir die Bilder aushändigen müssen«, sagte er, ohne sich an die Wahrheit zu halten. »Dann besteht die Gefahr, daß Journalisten davon erfahren und mir hierher folgen. Ich kann sie nicht daran hindern. Wenn ich jetzt eins der Bilder ausleihen und kopieren kann, braucht das nicht zu geschehen.«
Der Junge betrachtete Wallander mit starrendem Blick. Die Wachsamkeit von vorhin hatte sich in etwas anderes verwandelt. Wortlos reichte er Wallander eins der Bilder zurück.
»Ich habe nur noch einige wenige Fragen«, sagte Wallander. »Wissen Sie, ob Louise jemals einen Mann namens Gustaf Wetterstedt getroffen hat?«
Die Mutter sah ihn verständnislos an. Der Junge war aufgestanden und blickte durch die offene Balkontür hinaus. Er wandte ihnen den Rücken zu.
»Nein«, sagte sie.
»Sagt Ihnen der Name Arne Carlman etwas?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Åke Liljegren?«
»Nein.«
Sie liest keine Zeitungen, dachte Wallander. Unter der Wolldecke |425| liegt vermutlich eine Weinflasche. Und in der Flasche befindet sich ihr Leben.
Er stand auf. Der Junge an der Balkontür wandte sich um.
»Werden Sie Louise besuchen?« fragte er noch einmal.
»Das ist nicht ausgeschlossen«, entgegnete Wallander.
Er verabschiedete sich und verließ die Wohnung. Als er aus dem Haus trat, spürte er Erleichterung. Der Junge stand an einem Fenster und sah ihm nach. Wallander stieg in seinen Wagen und beschloß, den Besuch bei Louise Fredman bis auf weiteres auf sich beruhen zu lassen. Dagegen wollte er so schnell wie möglich wissen, ob Elisabeth Carlén sie auf dem Foto erkannte. Er kurbelte das Seitenfenster herunter und drückte am Autotelefon Sjöstens Nummer. Der Junge an dem Fenster im dritten Stock war jetzt verschwunden. Während er wartete, suchte er in seiner Erinnerung nach einer Erklärung dafür, warum er beim Anblick des kleinen verängstigten Jungen eine derartige Unruhe verspürt hatte. Doch er kam immer noch nicht darauf, was es war. Sjösten meldete sich. Wallander sagte, er sei jetzt auf dem Weg nach Helsingborg und habe ein Foto bei sich, das Elisabeth Carlén sich ansehen solle.
»Dem letzten Bericht zufolge lag sie auf ihrem Balkon und sonnte sich«, sagte Sjösten.
»Wie kommt ihr mit Liljegrens Mitarbeiter weiter?«
»Wir sind gerade dabei, den Mann zu lokalisieren, der
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