Wallander 05 - Die falsche Fährte
mindestens ebenso gut, wie sie nach allgemeiner Auffassung die schwere Kunst des Fragens beherrschten. Polizisten sollten immer ein offenes Ohr haben, für verborgene, unterschwellige Bedeutungen und Motive, die nicht gleich offenkundig waren. Sie mußten auch den unsichtbaren Abdruck eines Täters wahrnehmen können. Wie in diesem Haus. Es blieb stets etwas zurück nach einem Verbrechen, was nicht sichtbar war und was die Techniker mit ihren Pinseln nicht zutage fördern konnten. Ein erfahrener Kriminalbeamter mußte die Hellhörigkeit besitzen, diesem Etwas auf die Spur zu kommen. Der Täter hatte vielleicht nicht gerade seine Schuhe vergessen. Aber seine Gedanken.
Wallander beendete das Gespräch und ging zu Sjösten hinein, der sich an einen Schreibtisch gesetzt hatte. Wallander sagte nichts. Sjösten auch nicht. Das Haus lud zum Schweigen ein. Wallander ging ins Obergeschoß und öffnete die Türen aller Räume. Nirgendwo Papiere. Liljegren hatte in einem Haus gelebt, dessen hervorstechendstes Merkmal die Leere war. Wallander dachte an |437| die Geschäfte, die Liljegren berühmt und berüchtigt gemacht hatten, Briefkastenfirmen, Unternehmensliquidationen. Er war in die Welt hinausgezogen und hatte sein Geld versteckt. War er mit seinem eigenen Leben ebenso verfahren? Er hatte Wohnungen in vielen verschiedenen Ländern. Diese Villa war eins seiner zahlreichen Verstecke. Wallander blieb an einer Tür stehen, die zum Dachboden zu führen schien. Als Kind hatte er sich in dem Haus, in dem sie damals wohnten, ein Versteck auf dem Dachboden eingerichtet. Er öffnete die Tür. Die Treppe war schmal und steil. Er drehte den altertümlichen Lichtschalter. Der Speicher mit dem Dachstuhlgebälk war nahezu leer. Skier standen da, ein paar Möbel. Wallander bemerkte den gleichen Geruch wie unten im Haus. Die Kriminaltechniker waren auch hier oben gewesen.
Keine geheimen Türen zu ebenso geheimen Räumen. Es war heiß unter den Dachpfannen. Er ging wieder nach unten und begann noch einmal, systematisch zu suchen. Schaute hinter die Kleidung in Liljegrens großen Kleiderschränken. Auch hier nichts. Wallander setzte sich auf die Bettkante und versuchte nachzudenken. Es war undenkbar, daß Liljegren alles im Kopf gehabt hatte. Irgendwo mußte es zumindest ein Adreßbuch geben. Aber es war keins da. Es fehlte auch noch etwas anderes. Zuerst kam er nicht darauf, was es war. Er kehrte noch einmal an den Anfang zurück und stellte von neuem eine grundlegende Frage: Wer war Åke Liljegren? Den man den Reichsrevisor genannt hatte. Ein Reisender war Liljegren gewesen. Aber im ganzen Haus gab es keinen Koffer. Nicht einmal eine Aktentasche. Wallander stand auf und ging zu Sjösten hinunter.
»Liljegren muß noch ein Haus gehabt haben«, sagte er. »Oder zumindest ein Büro.«
»Er hatte in der ganzen Welt Häuser«, antwortete Sjösten abwesend.
»Ich meine hier in Helsingborg. Hier ist es so leer, daß es unnatürlich ist.«
»Ich glaube nicht, daß er das hatte«, sagte Sjösten. »Dann wüßten wir davon.«
Wallander nickte, sagte aber nichts mehr. Er war sich seiner Sache trotzdem sicher. Dann nahm er seinen Rundgang wieder auf. |438| Noch verbissener. Ging in den Keller. In einem Raum mit einem Heimtrainer und ein paar Hanteln stand noch ein Kleiderschrank. Darin hingen verschiedene Trainingsanzüge und Regenzeug. Wallander betrachtete die Sachen grübelnd. Dann ging er wieder zu Sjösten hinauf.
»Hatte Liljegren ein Boot?«
»Das hatte er bestimmt. Aber nicht hier. Dann wüßte ich davon.«
Wallander nickte stumm. Er wollte gerade wieder gehen, als ihm ein Gedanke kam.
»Vielleicht lief es unter einem anderen Namen?«
»Was?«
»Ein Boot. Vielleicht war es auf einen anderen Namen eingetragen. Warum nicht auf den von Logård?«
Sjösten begriff, daß Wallander es ernst meinte.
»Warum glaubst du, daß er ein Boot hatte?«
»Im Keller hängen Sachen, die zumindest mir nach Segelkleidung aussehen.«
Sjösten folgte Wallander in den Keller. »Du kannst recht haben«, meinte er, als sie vor dem offenen Schrank standen.
»Auf jeden Fall könnte es sich lohnen, das einmal zu untersuchen«, sagte Wallander. »Hier im Haus ist es dermaßen leer, das ist nicht normal.«
Sie verließen den Keller. Sjösten setzte sich ans Telefon. Wallander öffnete die Terrassentür und trat in den Sonnenschein hinaus. Er dachte an Baiba. Im Nu spürte er die Faust im Magen. Warum rief er sie nicht an? Hielt er es immer noch für
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