Wallander 05 - Die falsche Fährte
Was kann ich dir anbieten?«
»Nichts«, sagte Wallander und setzte sich auf die Couch, nachdem er einen Stapel Zeitungen zur Seite geschoben hatte.
Lars Magnusson nahm ungeniert einen Schluck aus der Flasche und setzte sich Wallander gegenüber. Die Klaviermusik hatte er leiser gestellt.
»Es ist lange her«, sagte Wallander. »Ich versuche, mich zu erinnern, wann es war.«
»Im Systembolaget«, erwiderte Lars Magnusson schnell. »Vor fast genau fünf Jahren. Du hast Wein gekauft und ich all das andere.«
Wallander nickte. Er erinnerte sich. »Dein Gedächtnis läßt nichts zu wünschen übrig«, sagte er.
»Das habe ich noch nicht kaputtgesoffen«, sagte Lars Magnusson. »Das spare ich mir bis zum Schluß auf.«
»Hast du nie daran gedacht aufzuhören?«
»Jeden Tag. Aber ich nehme nicht an, daß du deshalb gekommen bist. Um mich davon zu überzeugen, daß ich trocken werden sollte.«
»Du hast sicher in den Zeitungen gelesen, daß Gustaf Wetterstedt ermordet worden ist?«
|112| »Ich habe es im Fernsehen gesehen.«
»Ich habe eine vage Erinnerung daran, daß du einmal von ihm erzählt hast. Von den Skandalen, die ihn umgaben. Die aber immer totgeschwiegen wurden.«
»Was der größte Skandal von allen war«, unterbrach Lars Magnusson.
»Ich versuche, mir ein Bild von ihm zu machen«, fuhr Wallander fort. »Ich dachte, du könntest mir helfen.«
»Die Frage ist nur, ob du die unbestätigten Gerüchte hören oder die Wahrheit wissen willst«, sagte Lars Magnusson. »Ich bin nicht sicher, ob ich das auseinanderhalten kann.«
»Es entstehen selten Gerüchte, ohne daß es eine Ursache gibt«, sagte Wallander.
Magnusson schob die Wodkaflasche beiseite, als habe er plötzlich entschieden, daß sie ihm zu nahe stand.
»Ich habe als fünfzehnjähriger Volontär bei einer Stockholmer Zeitung angefangen«, begann er. »Das war 1955, im Frühjahr. Sie hatten damals einen alten Nachtredakteur, der Ture Svanberg hieß. Er war ungefähr genauso versoffen, wie ich heute bin. Aber seine Arbeit erledigte er einwandfrei. Er war außerdem ein Genie im Formulieren verkaufsträchtiger Aushänger. Schlampig geschriebene Texte waren ihm ein Greuel. Ich kann mich noch erinnern, daß er wegen einer schlampig ausgeführten Reportage so in Rage geriet, daß er das Manuskript zerriß und die Stücke aufaß. Er mampfte das Papier in sich hinein. Dann sagte er: ›Das hier ist nur wert, auf eine Art herauszukommen, nämlich als Scheiße.‹ Ture Svanberg hat mir das Journalistenhandwerk beigebracht. Er sagte immer, daß es zwei Typen von Zeitungsschreibern gibt. ›Der eine Typ gräbt in der Erde nach der Wahrheit. Er steht unten in der Grube und schaufelt Erde heraus. Aber oben steht ein anderer Mann und schaufelt die Erde zurück. Er ist auch Journalist. Zwischen diesen beiden herrscht ein ewiger Zweikampf. Das Kräftemessen der dritten Staatsmacht um die Herrschaft, das nie endet. Du hast Journalisten, die entlarven und aufdecken wollen. Du hast andere Journalisten, die sich als Laufburschen der Macht betätigen und dazu beitragen, das, was eigentlich vor sich geht, zu verbergen.‹ Und so war es auch. Das habe ich bald gelernt, obwohl ich |113| erst fünfzehn war. Die Männer der Macht halten sich immer symbolische Reinigungsfirmen und Beerdigungsinstitute. Es gibt genug Journalisten, die nicht zögern, ihre Seele zu verkaufen, um deren Interessen zu dienen. Die Erde zurückzuschaufeln. Die Skandale zu begraben. Den Schein zur Wahrheit zu erheben, die Illusion der reingewaschenen Gesellschaft aufrechtzuerhalten.«
Mit einer Grimasse zog er die Flasche zu sich heran und nahm einen Schluck. Wallander sah, wie er sich danach an den Bauch faßte.
»Gustaf Wetterstedt«, sagte er. »Was war da eigentlich?«
Lars Magnusson zog ein zerknautschtes Zigarettenpäckchen aus der Tasche seines Hemds. Er zündete sich eine Zigarette an und blies eine Rauchwolke aus. »Huren und Kunst«, sagte er. »Viele Jahre lang war es allgemein bekannt, daß der gute Gustaf sich jede Woche ein Mädchen in seine Wohnung in Vasastaden bringen ließ, eine Wohnung, von der seine Frau nichts wußte. Er hatte einen persönlichen Diener, der sich der Sache annahm. Ich hörte damals Gerüchte, daß er morphiumsüchtig sei und daß Wetterstedt das Morphium beschaffte. Er hatte viele Ärzte als Freunde. Daß er mit Huren schlief, war für die Zeitungen kein Thema. Er war weder der erste noch der letzte schwedische Minister, der das tat. Eine interessantere
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