Wallander 05 - Die falsche Fährte
jemanden tötet, der ihm über den Weg läuft. Er ist auf etwas aus. Die Skalpe sind seine Trophäen.«
Sie hatte sich auf ihren Stuhl gesetzt, während er am Türpfosten lehnte. »Warum nimmt man Trophäen?« fragte sie.
»Um damit anzugeben.«
»Vor sich selbst oder vor anderen?«
»Beides.«
Plötzlich begriff er, warum sie nach den Trophäen gefragt hatte. »Du meinst, daß er diese Skalpe jemandem zeigen will?«
»Das ist jedenfalls nicht auszuschließen.«
»Nein«, überlegte Wallander. »Auszuschließen ist es nicht. Genauso wenig wie irgend etwas anderes.«
In der Tür wandte er sich noch einmal um. »Rufst du in Stockholm an?« fragte er.
»Heute ist Mittsommer«, meinte sie. »Ich glaube kaum, daß sie einen Telefondienst haben.«
»Dann mußt du jemanden zu Hause anrufen«, sagte Wallander. |148| »Weil wir nicht wissen, ob er noch einmal zuschlägt, dürfen wir keine Zeit verlieren.«
Wallander ging in sein eigenes Zimmer und ließ sich schwer auf seinen Besucherstuhl fallen, der bedenklich knackte. Sein Kopf schmerzte vor Müdigkeit. Er lehnte sich zurück und schloß die Augen. Kurz darauf schlief er.
Er erwachte mit einem Ruck, als jemand ins Zimmer trat. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr und sah, daß er fast eine Stunde geschlafen hatte. Der dumpfe Schmerz im Kopf hatte nicht nachgelassen. Dennoch fühlte er sich wieder etwas frischer.
Nyberg stand im Zimmer. Seine Augen waren blutunterlaufen, und die Haare standen ihm zu Berge. »Ich wollte dich nicht wecken«, sagte er entschuldigend.
»Ich habe nur gedöst«, antwortete Wallander. »Gibt es etwas Neues?«
Nyberg schüttelte den Kopf. »Nicht viel. Das einzige, was ich mir denken kann, ist, daß derjenige, der Carlman erschlagen hat, seine Kleidung mit Blut besudelt haben muß. Ohne der gerichtsmedizinischen Untersuchung vorzugreifen, glaube ich, daß der Schlag direkt von oben kam. Was darauf schließen läßt, daß derjenige, der die Axt hielt, sehr nahe gestanden haben muß.«
»Bist du sicher, daß es eine Axt war?«
»Ich bin mir in nichts sicher«, erwiderte Nyberg. »Es kann auch ein schwerer Säbel gewesen sein. Oder etwas anderes. Aber der Kopf wirkte, als sei er gespalten worden wie ein Holzklotz.«
Wallander wurde sogleich übel. »Das reicht«, sagte er. »Der Täter hat also blutverschmierte Kleider. Das schließt aber die Gäste auf dem Fest aus. Keiner von denen war blutverschmiert.«
»Wir haben entlang der Hecke gesucht«, fuhr Nyberg fort. »Zum Rapsfeld hin und auf dem Hügel. Der Bauer, dem das Land um Carlmans Hof gehört, kam und fragte, ob er den Raps ernten dürfe. Ich habe ja gesagt.«
»Das ist gut«, sagte Wallander. »Sind sie nicht ungewöhnlich spät dran dieses Jahr?«
»Ich glaube auch«, meinte Nyberg. »Es ist ja schon Mittsommer.«
»Der Hügel«, sagte Wallander.
|149| »Jemand scheint dort gewesen zu sein. Das Gras war niedergetreten. An einer Stelle sah es aus, als hätte dort jemand gesessen. Wir haben Proben vom Gras und der Erde genommen.«
»Sonst nichts?«
»Ich glaube kaum, daß das alte Fahrrad für uns von Interesse ist.«
»Der Spürhund hat da die Spur verloren«, sagte Wallander. »Warum?«
»Danach solltest du wohl eher den Hundeführer fragen«, antwortete Nyberg. »Aber es kann sein, daß eine fremde Substanz plötzlich so dominiert, daß der Hund den Geruch verliert, dem er bis dahin gefolgt ist. Es gibt viele Erklärungen dafür, weshalb Spuren unerklärlicherweise aufhören.«
Wallander dachte über Nybergs Worte nach. »Geh nach Hause und schlaf dich aus«, sagte er dann. »Du siehst vollkommen fertig aus.«
»Das bin ich auch«, erwiderte Nyberg.
Nachdem Nyberg verschwunden war, ging Wallander in den Eßraum und machte sich ein Brot. Ein Mädchen von der Anmeldung erschien und gab ihm einen Stoß Telefonnotizen. Er blätterte sie durch und sah, daß vor allem Journalisten angerufen hatten. Er überlegte, ob er nach Hause fahren und sich umziehen sollte. Doch dann entschloß er sich, etwas ganz anderes zu tun. Er klopfte an Hanssons Tür und sagte ihm, daß er zu Carlmans Hof hinausfahren wolle.
»Ich habe die Pressekonferenz für ein Uhr angesetzt«, sagte Hansson.
»Bis dahin bin ich zurück«, antwortete Wallander. »Aber wenn nicht etwas Außergewöhnliches anliegt, will ich da draußen nicht gestört werden. Ich muß nachdenken.«
»Und alle müssen schlafen«, fügte Hansson hinzu. »Ich hätte mir nie träumen lassen, daß wir ausgerechnet jetzt
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