Wallander 05 - Die falsche Fährte
gewinnt.«
»Das kann ich mir vorstellen«, sagte sein Vater. »Ich selbst habe 2:0 getippt. Gertrud dagegen war vorsichtiger. Sie glaubte, es gäbe ein 1:1.«
Das Fußballgespräch war zu Ende.
»Möchtest du Kaffee?« fragte Wallander.
»Ja, danke.«
Wallander holte Kaffee. Im Flur stieß er mit Hansson zusammen. »Kannst du veranlassen, daß ich die nächste halbe Stunde nicht gestört werde?« sagte er.
Hansson legte bekümmert die Stirn in Falten. »Ich muß überaus dringend mit dir sprechen.«
Wallander ärgerte sich über Hanssons gestelzte Art zu reden.
»In einer halben Stunde«, sagte er. »Dann kannst du mit mir sprechen, soviel du willst.«
Er kehrte in sein Zimmer zurück und machte die Tür hinter sich zu. Sein Vater nahm den Plastikbecher zwischen die Hände. Wallander setzte sich hinter seinen Schreibtisch. »Dein Besuch kommt unerwartet, muß ich sagen. Ich hätte nie damit gerechnet, dich hier im Polizeipräsidium zu sehen.«
»Für mich ist es auch unerwartet«, erwiderte sein Vater. »Ich wäre nie gekommen, wenn es nicht absolut nötig wäre.«
Wallander stellte den Becher ab. Er hätte wissen müssen, daß sein Vater ihn hier nur in einer äußerst dringenden Angelegenheit besuchen würde. »Ist etwas passiert?« fragte er.
»Nur, daß ich krank bin«, antwortete sein Vater einfach.
Wallander spürte sofort einen Klumpen im Magen. »Wieso?« fragte er.
|156| »Ich bin dabei, den Verstand zu verlieren«, fuhr sein Vater ungerührt fort. »Den Namen der Krankheit habe ich vergessen. Es ist, wie wenn man senil wird. Aber man kann bösartig werden. Und es kann schnell gehen.«
Wallander wußte, wovon sein Vater redete. Er erinnerte sich daran, daß Svedbergs Mutter diese Krankheit hatte. Aber der Name fiel auch ihm nicht ein. »Woher weißt du das?« fragte er. »Bist du beim Arzt gewesen? Warum hast du nicht früher etwas gesagt?«
»Ich bin sogar bei einem Spezialisten in Lund gewesen«, gab sein Vater zurück. »Gertrud hat mich gefahren.«
Der Vater schwieg und trank seinen Kaffee. Wallander wußte nicht, was er sagen sollte.
»Eigentlich bin ich hergekommen, um dich um etwas zu bitten«, sagte sein Vater und sah ihn an. »Wenn das nicht zuviel verlangt ist.«
Im selben Augenblick klingelte das Telefon. Wallander legte den Hörer daneben, ohne zu antworten.
»Ich kann warten«, sagte sein Vater.
»Ich habe gesagt, daß ich nicht gestört werden will. Erzähl lieber, worum du mich bitten möchtest.«
»Ich habe immer den Traum gehabt, einmal nach Italien zu reisen«, sagte der Vater. »Bevor es zu spät ist, möchte ich noch hinfahren. Und ich habe mir gedacht, daß du mitkommen solltest. Gertrud hat in Italien nichts zu tun. Ich glaube nicht einmal, daß sie dorthin will. Und ich bezahle alles. Das Geld dafür habe ich.«
Wallander sah seinen Vater an. Er wirkte klein und eingesunken, wie er da auf dem Stuhl saß. Es war, als sei er erst jetzt so alt geworden, wie er wirklich war. Bald achtzig.
»Klar fahren wir zusammen nach Italien«, sagte Wallander. »Wann willst du denn fahren?«
»Es ist vielleicht das beste, nicht allzu lange zu warten«, antwortete sein Vater. »Ich habe gehört, daß es im September nicht so heiß ist. Aber da hast du vielleicht keine Zeit?«
»Eine Woche kann ich mir ohne weiteres frei nehmen. Aber du hattest vielleicht vor, länger wegzubleiben?«
»Eine Woche ist gut.«
|157| Sein Vater beugte sich vor und stellte den Plastikbecher ab. Dann stand er auf. »Jetzt will ich nicht weiter stören«, sagte er. »Ich warte draußen auf Gertrud.«
»Es ist besser, du bleibst hier sitzen«, erwiderte Wallander.
Sein Vater hob drohend und abwehrend den Stock. »Du hast viel zu tun«, sagte er. »Was das nun auch sein mag. Ich warte draußen.«
Wallander begleitete ihn hinaus in die Anmeldung, wo er sich auf ein Sofa setzte.
»Ich will nicht, daß du hier wartest«, brummte sein Vater. »Gertrud kommt bald.«
Wallander nickte. »Klar fahren wir nach Italien«, sagte er. »Ich komme zu dir raus, sobald ich Zeit habe.«
»Es könnte vielleicht eine schöne Reise werden«, meinte sein Vater. »Man weiß ja nie.«
Wallander verließ ihn und ging zu dem Mädchen in der Anmeldung. »Ich möchte mich bei dir entschuldigen«, sagte er. »Es war völlig richtig, daß du meinen Vater in meinem Zimmer hast warten lassen.«
Er kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Plötzlich merkte er, daß er Tränen in den Augen hatte. Auch wenn sein Verhältnis zu
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