Wallander 05 - Die falsche Fährte
trotz allem die richtige Wahl?«
»Die Ähnlichkeit oder der Unterschied?« wiederholte Wallander. »Was ist also das Entscheidende?«
Mats Ekholm drehte die Handflächen nach oben. »Das zu beantworten, ist es natürlich noch zu früh. Was wir relativ sicher sagen können, ist, daß er seine Taten sorgfältig plant und sehr kaltblütig ist.«
»Er nimmt Skalpe. Er sammelt Trophäen. Was bedeutet das?«
»Er übt Macht aus«, sagte Ekholm. »Die Trophäen sind der Beweis für seine Taten. Für ihn ist es nicht viel anders, als wenn ein Jäger sich ein Geweih an die Wand hängt.«
»Aber warum die Skalpe?« fuhr Wallander fort. »Warum gerade die?«
»Das ist nicht schwer zu erraten«, sagte Ekholm. »Ich will nicht zynisch wirken, aber welcher Teil eines Menschen eignet sich besser als Trophäe? Ein Körper verfault. Ein Stück Haut mit Haaren ist viel leichter aufzuheben.«
»Dennoch muß ich unwillkürlich an Indianer denken«, meinte Wallander.
»Man kann natürlich nicht ausschließen, daß dein Täter eine Fixierung auf einen Indianerkrieger hat«, sagte Ekholm. »Menschen, die sich in einem psychischen Grenzbereich befinden, wählen häufig die Identität eines anderen Menschen, um sich dahinter zu verbergen. Oder verwandeln sich in eine mythische Gestalt.«
»Ein Grenzbereich?« fragte Wallander. »Was bedeutet das?«
»Dein Täter hat bereits zwei Morde begangen. Wir können nicht ausschließen, daß er die Absicht hat weiterzumachen, weil wir sein Motiv nicht kennen. Das bedeutet, daß er wahrscheinlich eine psychische Grenze überschritten, mit anderen Worten, sich von allen normalen Hemmungen freigemacht hat. Ein Mensch kann im Affekt einen Mord oder Totschlag begehen. Ein Mörder, der seine Handlungen wiederholt, folgt ganz anderen psychischen |172| Gesetzen. Er befindet sich in einem Dämmerungsland, in das wir ihm nur teilweise folgen können. Alle Grenzen, die für ihn existieren, hat er selbst gezogen. Nach außen kann er ein vollkommen normales Leben führen. Er kann jeden Morgen zur Arbeit gehen. Er kann eine Familie haben und am Feierabend Golf spielen oder seine Blumenbeete pflegen. Er kann im Kreis seiner Kinder auf dem Sofa sitzen und die Nachrichten im Fernsehen verfolgen, die von den Morden berichten, die er selbst begangen hat. Er kann, ohne die geringste Regung erkennen zu lassen, seinem Entsetzen darüber Ausdruck geben, daß solche Menschen frei herumlaufen dürfen. Er hat zwei verschiedene Identitäten, die er voll und ganz beherrscht. Er zieht an seinen eigenen Fäden, er ist Marionette und Marionettenspieler zugleich.«
Wallander saß eine Weile schweigend da. »Wer ist er?« fragte er dann. »Wie sieht er aus? Wie alt ist er? Ich kann nicht nach einem Kranken suchen, der nach außen hin völlig normal ist. Ich kann nur nach einem Menschen suchen.«
»Darauf zu antworten, ist es noch zu früh«, sagte Mats Ekholm. »Ich brauche Zeit, mich in das Material zu vertiefen, um ein psychisches Profil des Täters skizzieren zu können.«
»Ich hoffe, du betrachtest diesen Sonntag nicht als Ruhetag«, sagte Wallander müde. »Wir brauchen dieses Profil so schnell wie überhaupt möglich.«
»Ich will versuchen, bis morgen etwas hinzukriegen«, versprach Mats Ekholm. »Aber du und deine Kollegen, ihr müßt euch darüber im klaren sein, daß die Schwierigkeiten und die Fehlerquellen damit nicht ausgeräumt sind.«
»Das ist mir klar«, sagte Wallander. »Trotzdem brauchen wir jede mögliche Hilfe.«
Nach dem Gespräch mit Mats Ekholm verließ Wallander das Präsidium. Er fuhr zum Hafen hinunter und ging auf die Pier hinaus, auf der er vor ein paar Tagen gesessen und versucht hatte, die Abschiedsrede für Björk zu formulieren. Er setzte sich auf die Bank und sah einem auslaufenden Fischkutter nach. Er knöpfte sein Hemd auf und blinzelte in die Sonne. Irgendwo in der Nähe hörte er Kinder lachen. Er versuchte, alle Gedanken wegzuschieben und die Wärme zu genießen. Doch nach einigen Minuten |173| stand er auf und verließ den Hafen.
Dein Täter hat bereits zwei Morde begangen. Wir kennen sein Motiv nicht und können nicht ausschließen, daß er die Absicht hat weiterzumachen.
Mats Ekholms Worte hätten seine eigenen sein können. Seine Unruhe würde erst vergehen, wenn sie die Person gefaßt hätten, die Gustaf Wetterstedt und Arne Carlman getötet hatte. Wallander kannte sich selbst. Seine Stärke lag darin, nie aufzugeben. Und zuweilen sogar gewisse Anzeichen von Scharfsinn zu
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