Wallander 05 - Die falsche Fährte
natürlich nicht der einzige war. Aber er hatte spezielle Neigungen, unter denen die Mädchen zu leiden hatten.«
»Ich habe von einem Mädchen gehört, das Anzeige erstattete«, sagte Wallander.
»Karin Bengtsson hieß sie«, nickte Hugo Sandin. »Sie kam aus zerrütteten Familienverhältnissen in Eksjö. Sie lief von zu Hause weg, ging nach Stockholm und tauchte 1954 zum erstenmal in den Papieren der Sittenpolizei auf. Ein paar Jahre später landete sie in der Gruppe, aus der Wetterstedt seine Mädchen aussuchte. Im Januar 1957 erstattete sie Anzeige gegen ihn. Er hatte ihr mit Rasierklingen in die Füße geschnitten. Ich habe sie damals selbst getroffen. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten. Wetterstedt sah ein, daß er zu weit gegangen war. Die Anzeige verschwand, und Karin Bengtsson wurde gekauft und schwieg. Sie bekam Geld, das sie in ein gut eingeführtes Modegeschäft in Västerås investierte. 1959 tauchte Geld auf ihrem Konto auf, von dem sie sich ein Häuschen kaufen konnte. Von 1960 an reiste sie jedes Jahr nach Mallorca.«
»Woher kam das Geld?«
»Schon damals gab es sogenannte Reptilienfonds. Der schwedische Hof hatte es vorexerziert, als man Menschen, die mit dem |216| damaligen König allzu intim geworden waren, mit Geld zum Schweigen brachte.«
»Lebt Karin Bengtsson noch?«
»Sie starb im Mai 1984. Sie hat nie geheiratet. Nachdem sie nach Västerås gezogen war, habe ich sie nicht mehr getroffen. Aber manchmal rief sie an. Bis zu ihrem letzten Lebensjahr. Meistens war sie betrunken.«
»Und warum rief sie dich an?«
»Schon als die ersten Gerüchte aufkamen, daß irgendein Straßenmädchen Anzeige gegen Wetterstedt erstatten wolle, hatte ich Kontakt mit ihr aufgenommen. Ich wollte ihr unbedingt helfen. Ihr Leben war komplett zerstört, ihr Selbstvertrauen völlig zerrüttet.«
»Warum hast du dich so engagiert?«
»Ich war empört. Ich war damals wohl ziemlich radikal. Allzu viele Polizisten akzeptierten die Aushöhlung des Rechts. Ich nicht. Damals so wenig wie heute.«
»Was geschah nachher? Als Karin Bengtsson fort war?«
»Wetterstedt machte weiter wie bisher. Er hat vielen Mädchen Schnitte zugefügt. Aber keine erstattete mehr Anzeige. Dagegen sind zwei Mädchen einfach verschwunden.«
»Was meinst du damit?«
Hugo Sandin blickte Wallander verblüfft an. »Na, daß sie verschwanden. Man hörte nie wieder etwas von ihnen. Sie wurden als vermißt gemeldet, es wurden Nachforschungen angestellt. Aber sie blieben verschwunden.«
»Was war geschehen? Was ist deine Meinung?«
»Meine Meinung? Sie wurden natürlich getötet. Von Kalk zerfressen, im Meer versenkt. Was weiß ich?«
Wallander konnte kaum glauben, was er hörte. »Bist du wirklich sicher?« fragte er zweifelnd. »Es klingt zumindest unglaublich.«
»Wie sagt man noch? Unglaublich, aber wahr?«
»Sollte Wetterstedt die Morde begangen haben?«
Hugo Sandin schüttelte den Kopf. »Ich sage nicht, daß er es selbst getan hat. Ich bin sogar davon überzeugt, daß er das nicht hat. Was genau passiert ist, weiß ich nicht. Das werden wir auch |217| sicher nie erfahren. Aber seine Schlüsse kann man trotzdem ziehen. Auch wenn es keine Beweise gibt.«
»Es fällt mir noch immer schwer, das zu glauben«, sagte Wallander.
»Es ist aber wahr«, entgegnete Hugo Sandin schroff, als dulde er keine Einwände. »Wetterstedt war gewissenlos. Aber natürlich konnte ihm nie etwas nachgewiesen werden.«
»Es gab viele Gerüchte.«
»Und sie waren alle berechtigt. Wetterstedt benutzte seine Position und seine Macht dazu, seine perversen sexuellen Wünsche zu befriedigen. Aber er hatte seine Hände auch in Geschäften, die ihn in aller Verborgenheit reich machten.«
»Kunsthandel?«
»Kunstdiebstähle, genauer gesagt. In meiner Freizeit verwendete ich die größte Mühe darauf, alle Zusammenhänge ausfindig zu machen. Ich träumte wohl davon, dem Obersten Staatsanwalt eines Tages eine Ermittlung auf den Tisch knallen zu können, die so wasserdicht war, daß Wetterstedt nicht nur zurücktreten müßte, sondern außerdem eine ordentliche Gefängnisstrafe bekäme. Leider bin ich nie so weit gekommen.«
»Du mußt umfassendes Material aus der Zeit haben.«
»Ich habe alles vor ein paar Jahren verbrannt. Im Keramikofen meines Sohns. Es waren mindestens zehn Kilo Papier.«
Wallander fluchte innerlich. Er hatte nicht an die Möglichkeit gedacht, daß Hugo Sandin das Material, das er unter so großen Mühen zusammengetragen hatte,
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