Wallander 05 - Die falsche Fährte
weiterzuträumen aber dennoch angenehm hätte sein können, und er fuhr mit einer irrsinnigen Hektik in seine Kleider, daß die Knöpfe flogen und die Schnürsenkel lose schleiften, als er die Treppe hinunterstürzte und in den Sonnenschein hinauskam, den er nicht wahrnahm. Als er in seinem Wagen angeschlingert kam, für den er heute einen neuen Termin bei der Überprüfung hätte beantragen sollen, war Svedberg schon da. Ein paar Ordnungspolizisten unter Noréns Leitung waren dabei, die gestreiften Absperrbänder zu spannen, die verkündeten, daß die Welt aufs neue zusammengebrochen war. Svedberg stand neben einem weinenden Fahrkartenverkäufer und klopfte ihm unbeholfen auf die Schulter, während einige Männer in blauen Arbeitsanzügen in die Grube starrten, in die sie hätten hinabsteigen sollen, die sich aber jetzt in einen Alptraum verwandelt hatte. Wallander ließ seine Wagentür offenstehen und lief zu Svedberg hinüber. Warum er lief, wußte er nicht. Vielleicht begann der Polizistenmechanismus verrückt zu |235| spielen? Oder hatte er solche Angst vor dem, was er zu sehen bekäme, daß er ganz einfach nicht wagte, sich langsam zu nähern?
Svedbergs Gesicht war weiß. Er nickte zur Grube hin. Wallander ging so steif darauf zu, als sei er in ein Duell verwickelt, das er mit Sicherheit verlieren würde. Er holte mehrfach tief Luft, dann blickte er in die Grube.
Es war schlimmer, als er es sich hatte vorstellen können. Einen Augenblick lang kam es ihm so vor, als sehe er direkt in das Gehirn eines toten Menschen. Die Situation hatte etwas Obszönes, als sei der Tote in der Grube in einem intimen Moment bloßgestellt worden, in dem er verlangen konnte, allein gelassen zu werden. Ann-Britt Höglund kam und stellte sich neben ihn. Wallander merkte, wie sie zusammenzuckte und sich abwandte. Ihre Reaktion bewirkte, daß er plötzlich anfing, wieder klar zu denken. Er begann, überhaupt wieder zu denken. Die Gefühle traten zurück, er war wieder Ermittler in einer Mordkommission und konstatierte, daß der Mörder Gustaf Wetterstedts und Arne Carlmans erneut zugeschlagen hatte.
»Kein Zweifel«, sagte er zu Ann-Britt Höglund, »das ist er wieder.«
Sie war sehr blaß. Einen Moment befürchtete Wallander, sie könnte ohnmächtig werden. Er faßte sie um die Schultern.
»Geht es?« fragte er.
Sie nickte stumm.
Martinsson war zusammen mit Hansson gekommen. Wallander sah auch sie zusammenzucken, als sie in die Grube blickten. Und plötzlich packte ihn rasende Wut. Der Mann, der das hier getan hatte, mußte gestoppt werden. Um jeden Preis.
»Es muß derselbe Mann sein«, sagte Hansson mit zitternder Stimme. »Nimmt das denn nie ein Ende? Ich kann die Verantwortung nicht mehr tragen. Hat Björk das hier kommen sehen, als er aufgehört hat? Ich fordere Verstärkung aus Stockholm an.«
»Tu das«, sagte Wallander. »Aber laß uns den hier erst mal rausholen und sehen, ob wir das selbst lösen können.«
Hansson starrte Wallander ungläubig an, der begriff, daß Hansson vermutete, sie sollten den Toten selbst aus der Grube heben.
Vor den Absperrungen hatten sich schon viele Menschen versammelt. |236| Wallander erinnerte sich an das Gefühl, das er im Zusammenhang mit dem Mord an Carlman gehabt hatte. Er nahm Norén zur Seite und bat ihn, von Nyberg einen Fotoapparat zu leihen und so diskret wie möglich die Menschen vor den Absperrungen zu fotografieren. Inzwischen waren Einsatzwagen der Feuerwehr eingetroffen. Nyberg hatte schon begonnen, seine Mitarbeiter um die Grube herum einzuweisen. Wallander trat zu ihm, versuchte aber zu vermeiden, den Toten anzusehen.
»Auf ein Neues«, sagte Nyberg. Wallander hörte, daß er weder zynisch noch gleichgültig war. Ihre Blicke trafen sich.
»Wir müssen diesen Kerl fassen«, sagte Wallander.
»Und zwar so schnell wie möglich«, gab Nyberg zurück. Er legte sich auf den Bauch, um so tief in die Grube sehen zu können, daß er das Gesicht des Toten studieren konnte. Als er sich wieder aufrichtete, rief er Wallander zurück, der gerade auf dem Weg zu Svedberg war.
»Hast du seine Augen gesehen?« fragte Nyberg.
Wallander schüttelte den Kopf. »Was ist damit?«
Nyberg verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
»Er scheint sich diesmal nicht damit begnügt zu haben zu skalpieren«, antwortete er. »Es sieht so aus, als habe er ihm auch die Augen ausgestochen.«
Wallander betrachtete ihn verständnislos. »Was meinst du damit?«
»Ich meine nur, daß der Mann hier keine
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