Wallander 05 - Die falsche Fährte
Augen mehr hat. Da sind nur noch zwei Löcher.«
Sie brauchten zwei Stunden, um den Körper aus der Grube herauszubekommen. In der Zwischenzeit sprach Wallander mit dem Gemeindearbeiter, der die Plane angehoben, und dem Fahrkartenverkäufer, der auf der Bahnhofstreppe gestanden und von Griechenland geträumt hatte. Er hatte einen Zeitplan erstellt und Nyberg gebeten, die Taschen des Toten zu durchsuchen, damit sie seine Identität feststellen konnten. Nyberg teilte ihm mit, die Taschen seien leer.
»Nichts?« fragte Wallander erstaunt.
»Nichts«, erwiderte Nyberg. »Aber natürlich kann etwas herausgefallen sein. Wir suchen da unten noch einmal.«
|237| Sie holten ihn mit einem Flaschenzug hoch. Wallander zwang sich, sein Gesicht anzusehen. Nyberg hatte recht. Der skalpierte Mann hatte keine Augen mehr. Das Fehlen der Kopfhaut rief in Wallander die Empfindung hervor, es sei ein totes Tier, das auf der Plastikfolie zu seinen Füßen lag.
Wallander ging zur Bahnhofstreppe und setzte sich. Er studierte seinen Zeitplan. Er rief Martinsson zu sich, der mit dem gerade eingetroffenen Arzt sprach.
»Diesmal wissen wir, daß er nicht lange da gelegen hat«, sagte er. Ich habe mit den Arbeitern gesprochen, die die Abwasserrohre auswechseln. Sie haben gestern nachmittag um vier die Plane über die Grube gelegt. Der Körper muß nachher hineingelegt worden sein, und zwar vor sieben Uhr heute morgen.«
»Hier ist abends viel los«, meinte Martinsson. »Spaziergänger, Verkehr von und zum Bahnhof und zum Fähranleger. Es muß irgendwann in der Nacht gewesen sein.«
»Wie lange war er schon tot?« fragte Wallander. »Das will ich vor allem wissen. Und wer er ist.«
Nyberg hatte keine Brieftasche gefunden. Sie hatten nichts, um die Identität des Toten zu bestimmen. Ann-Britt Höglund kam hinzu und setzte sich neben sie. »Hansson redet davon, Verstärkung aus Stockholm anzufordern«, sagte sie.
»Ich weiß«, antwortete Wallander. »Aber er tut nichts, bevor ich ihn darum bitte. Was hat der Arzt gesagt?«
Sie blickte in ihre Notizen. »Ungefähr fünfundvierzig«, sagte sie. »Kräftig, gut gebaut.«
»Damit ist er der Jüngste bis jetzt«, bemerkte Wallander.
»Komischer Ort, die Leiche zu verstecken«, sagte Martinsson. »Hat er geglaubt, die Arbeiten wären während des Ferienmonats eingestellt?«
»Vielleicht wollte er den Körper einfach nur loswerden«, sagte Ann-Britt Höglund.
»Warum hat er dann die Grube ausgesucht?« wandte Martinsson ein. »Es muß doch sehr mühsam gewesen sein, ihn da runterzubugsieren. Außerdem war das Risiko groß, entdeckt zu werden.«
»Vielleicht wollte er, daß er gefunden wird«, sagte Wallander nachdenklich. »Die Möglichkeit können wir nicht ausschließen.«
|238| Sie sahen ihn verwundert an. Aber sie warteten vergeblich auf eine Fortsetzung.
Der Körper wurde fortgebracht. Wallander hatte veranlaßt, daß er unmittelbar nach Malmö überführt wurde. Um Viertel vor zehn verließen sie das abgesperrte Gelände und fuhren zum Präsidium. Wallander hatte gesehen, daß Norén dann und wann die große und wechselnde Menschenansammlung vor der Absperrung fotografierte.
Mats Ekholm hatte sich ihnen schon gegen neun Uhr angeschlossen. Er hatte lange den toten Körper betrachtet. Nachher war Wallander zu ihm gegangen. »Du hast bekommen, was du wolltest«, sagte er. »Noch einer.«
»Das war nicht ich, der das wollte«, entgegnete Ekholm abweisend.
Hinterher bereute Wallander seine Bemerkung. Er würde Ekholm später erklären, was er eigentlich gemeint hatte.
Kurz nach zehn schlossen sie sich im Sitzungszimmer ein. Hansson gab strenge Anweisung, keine Telefongespräche durchzustellen. Aber sie hatten noch nicht einmal angefangen, als es zum erstenmal klingelte. Hansson riß den Hörer an sich und war puterrot, als er sich mit einem drohenden Knurren meldete. Doch dann sank er langsam in seinen Sessel zurück. Wallander war sogleich klar, daß ein sehr hohes Tier am anderen Ende der Leitung sein mußte. Hansson hatte von Björk auch die kriecherische Nachgiebigkeit übernommen. Er machte kurze Bemerkungen, beantwortete Fragen, hörte aber hauptsächlich zu. Als das Gespräch zu Ende war, legte er den Hörer auf die Gabel, als handele es sich um eine unschätzbare und zerbrechliche Antiquität.
»Laß mich tippen: die Reichspolizeibehörde«, sagte Wallander. »Oder der Oberste Staatsanwalt.«
»Der Reichspolizeipräsident«, sagte Hansson. »Er gab zu gleichen Teilen
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