Wallander 06 - Die fünfte Frau
Wallander von seinem ersten Arbeitstag nach der Italienreise nach Hause gekommen war und lustlos eine Mahlzeit zubereitet hatte, die er noch lustloser in sich hineinstopfte, hatte er mehrmals versucht, seine Tochter Linda in Stockholm zu erreichen. Er hatte die Balkontür geöffnet, weil der Regen für eine kurze Weile nachließ. Er merkte, daß er irritiert war, weil Linda nicht von sich aus versucht hatte, ihn anzurufen und zu fragen, wie die Reise gewesen sei. Er redete sich ein, doch ohne großen Erfolg, daß sie viel zu tun hatte. In diesem Herbst hatte sie neben ihrem Studium an einer privaten Schauspielschule eine Arbeit als Bedienung in einem Restaurant auf Kungsholmen.
Gegen elf rief er auch Baiba in Riga an. Da hatten Regen und Wind wieder eingesetzt. Es fiel ihm bereits schwer, sich an die warmen Tage in Rom zu erinnern.
Aber wenn er in Rom etwas anderes getan hatte, als die Sonne zu genießen und seinem Vater Gesellschaft zu leisten, dann war es das, an Baiba zu denken. Im Sommer, vor nur wenigen Monaten – Wallander war ausgelaugt und deprimiert nach der qualvollen Jagd auf den vierzehnjährigen Mörder –, waren sie gemeinsam nach Dänemark gereist. An einem der letzten Tage hatte er sie gefragt, ob sie ihn heiraten wolle. Sie hatte ausweichend geantwortet, ohne allerdings die Tür ganz zuzuschlagen. Sie versuchte auch nicht, die Ursache für ihr Zögern zu verbergen. Sie wanderten am endlosen Strand von Skagen entlang, wo die beiden Meere sich vereinigten und wo Wallander vor vielen Jahren auch mit seiner ersten Frau Mona gewandert war und noch einmal bei einer |44| späteren Gelegenheit, als er deprimiert war und ernstlich erwog, den Polizistenberuf an den Nagel zu hängen. Die Abende waren fast tropisch warm gewesen. Sie ahnten, daß eine Fußball-WM die Menschen an die Fernsehapparate fesselte, denn die Strände waren ungewöhnlich leer. Sie streiften umher, sammelten Steine und Schneckenhäuser, und Baiba erklärte ihren Zweifel damit, daß sie sich kaum vorstellen könne, noch einmal mit einem Polizisten zusammenzuleben. Ihr früherer Mann, der lettische Polizeimajor Karlis, war 1992 ermordet worden. Damals, während einer wirren und unwirklichen Zeit in Riga, war Wallander ihr begegnet. In Rom hatte Wallander sich die Frage gestellt, ob er, wenn er ganz ehrlich war, wirklich noch einmal heiraten wollte. War es überhaupt notwendig zu heiraten? Eine Frau mit komplizierten und formalen Banden zu binden, die kaum noch Gültigkeit hatten in der Zeit, in der sie lebten? Er hatte eine lange Ehe mit Lindas Mutter hinter sich. Als sie ihn eines schönen Tages vor fünf Jahren mit der Tatsache konfrontiert hatte, daß sie sich scheiden lassen wolle, war er vollkommen verständnislos gewesen. Erst jetzt glaubte er die Gründe verstehen und zumindest teilweise auch akzeptieren zu können, warum sie ein neues Leben ohne ihn beginnen wollte. Er sah jetzt ein, warum es gekommen war, wie es kommen mußte. Er konnte seinen Teil an dem Ganzen überblicken und vielleicht sogar zugeben, daß er durch seine ständige Abwesenheit und sein wachsendes Desinteresse an den Dingen, die in ihrem Leben wichtig waren, die größere Schuld trug. Wenn man überhaupt von Schuld reden wollte. Man ging ein Stück des Weges gemeinsam. Dann mochten sich die Wege trennen, so langsam und unmerklich, daß erst, wenn es zu spät war, klar wurde, was geschehen war. Und dann hatte man sich schon aus dem Blick verloren.
Daran hatte er viel gedacht während der Tage in Rom. Und er war schließlich zu dem Ergebnis gekommen, daß er Baiba wirklich heiraten wollte. Er wünschte sich, daß sie nach Ystad zöge. Er hatte sich auch entschieden, noch einmal aufzubrechen und seine Wohnung in der Mariagatan gegen ein eigenes Haus zu tauschen. Irgendwo außerhalb der Stadt. Mit einem richtigen Garten. Ein einfaches Haus, aber doch in so gutem Zustand, daß er die notwendigen Reparaturen selbst ausführen konnte. Er hatte auch |45| darüber nachgedacht, ob er sich endlich den Hund anschaffen sollte, von dem er schon so lange träumte.
Über all das sprach er mit Baiba an diesem Montag abend, als der Regen über Ystad wieder eingesetzt hatte. Es war sozusagen die Fortsetzung des Gesprächs, das er im Kopf in Rom geführt hatte. Auch da hatte er mit ihr gesprochen, obwohl sie nicht anwesend war. Manchmal hatte er angefangen, laut vor sich hin zu reden. Es war seinem Vater, der in der Hitze neben ihm her trottete, natürlich nicht entgangen.
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