Wallander 06 - Die fünfte Frau
zwischen den Fingern. »Auf jeden Fall ist es komisch«, sagte er.
Wallander hatte einen Notizblock aus einer Schublade gekramt und blätterte bis zu einer leeren Seite. »Vielleicht fangen wir von vorn an«, sagte er. »Wer ist vielleicht verschwunden? Und was ist komisch?«
»Holger Eriksson.«
»Wer ist das?«
»Ein Kunde.«
»Ich vermute, Sie haben eine Tankstelle?«
Sven Tyrén schüttelte den Kopf. »Ich fahre Heizöl aus«, sagte er. »Ich habe den Bezirk nördlich von Ystad. Holger Eriksson wohnt zwischen Högestad und Lödinge. Er rief an und sagte, sein Tank wäre bald leer. Wir verabredeten, daß ich am Donnerstag vormittag liefern sollte. Als ich hinkam, war niemand zu Hause.«
Wallander notierte. »Sie sprechen von letztem Donnerstag?«
|50| »Dem 22.«
»Und wann rief er an?«
»Am Montag.«
Wallander dachte nach. »Sie können sich nicht mißverstanden haben in bezug auf den Zeitpunkt?«
»Ich bringe Holger Eriksson seit über zehn Jahren Öl. Es hat noch nie ein Mißverständnis gegeben.«
»Was geschah dann? Als Sie feststellten, daß er nicht zu Hause war?«
»Sein Öleinfüllstutzen ist verschlossen. Also bin ich wieder weggefahren. Ich habe einen Zettel in seinen Briefkasten gelegt.«
»Und was geschah weiter?«
»Nichts.«
Wallander legte den Stift zur Seite.
»Wenn man wie ich Öl ausfährt, lernt man die Gewohnheiten der Leute kennen«, fuhr Sven Tyrén fort. »Das mit Holger Eriksson ging mir nicht aus dem Kopf. Es konnte nicht sein, daß er verreist war. Also bin ich gestern nachmittag wieder hingefahren. Nach der Arbeit. Mit meinem eigenen Wagen. Der Zettel lag noch im Briefkasten. Unter der ganzen anderen Post, die seit Donnerstag gekommen war. Ich ging auf den Hof und läutete an der Tür. Es war keiner zu Hause. Das Auto stand in der Garage.«
»Lebt er allein?«
»Holger Eriksson ist nicht verheiratet. Er hat mit Autos ein Vermögen verdient. Außerdem schreibt er Gedichte. Ich habe mal ein Buch von ihm bekommen.«
Plötzlich erinnerte sich Wallander, daß er bei einem Besuch in Ystads Bokhandel den Namen Holger Eriksson auf einem Buch im Regal mit Literatur von verschiedenen Heimatdichtern gesehen hatte. Er hatte nach etwas gesucht, das er Svedberg zum vierzigsten Geburtstag schenken könnte.
»Und noch etwas, das nicht in Ordnung war«, sagte Sven Tyrén. »Die Tür war nicht verschlossen. Ich dachte, er wäre vielleicht krank. Er ist beinahe achtzig. Ich bin ins Haus gegangen. Es war leer. Aber die Kaffeemaschine in der Küche war an. Es roch. Der Kaffee war festgebrannt. Da habe ich mich entschieden herzukommen. Irgend etwas stimmt da nicht.«
|51| Wallander sah, daß Sven Tyréns Besorgnis ganz und gar echt war. Aus Erfahrung wußte er allerdings, daß die meisten Vermißtenfälle sich von selbst lösten. Sehr selten lag wirklich etwas Ernstes vor. »Hat er keine Nachbarn?« fragte er.
»Der Hof liegt ganz für sich.«
»Was könnte Ihrer Meinung nach passiert sein?«
Sven Tyréns Antwort kam schnell und bestimmt. »Ich glaube, er ist tot. Ich glaube, daß ihn jemand umgebracht hat.«
Wallander sagte nichts. Er wartete auf eine Fortsetzung. Aber es kam keine. »Warum glauben Sie das?«
»Es ist nicht normal«, sagte Sven Tyrén. »Er hatte Öl bestellt. Er war immer zu Hause, wenn ich kam. Er hätte die Kaffeemaschine nicht angelassen. Er wäre nicht weggegangen, ohne die Tür abzuschließen. Auch wenn er nur einen kurzen Spaziergang auf seinem Grundstück gemacht hätte.«
»Hatten Sie den Eindruck, daß im Haus eingebrochen worden ist?«
»Alles wirkte normal. Außer das mit der Kaffeemaschine.«
»Sie sind also schon früher bei ihm im Haus gewesen?«
»Jedesmal wenn ich Öl brachte. Er hat immer Kaffee angeboten. Und ein paar von seinen Gedichten gelesen. Weil er ein ziemlich einsamer Mensch war, glaube ich, daß er sich gefreut hat, wenn ich kam.«
Wallander dachte nach. »Sie haben gesagt, Sie glauben, daß er tot ist. Aber Sie haben auch gesagt, Sie glauben, daß jemand ihn umgebracht hat. Warum hätte jemand das tun sollen? Hatte er Feinde?«
»Nicht soweit ich weiß.«
»Aber er war wohlhabend?«
»Ja.«
»Wieso wissen Sie das?«
»Das wissen alle.«
Wallander ließ die Frage fallen. »Wir sehen uns das mal an«, sagte er. »Es gibt sicher eine natürliche Erklärung dafür, daß er weg ist. So ist es meistens.«
Wallander notierte die Adresse. Zu seiner Verwunderung hieß der Hof »Abgeschiedenheit«.
|52| Wallander begleitete Sven
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