Wallander 06 - Die fünfte Frau
Er hatte spöttisch, aber nicht eigentlich unfreundlich, gefragt, wer von ihnen beiden eigentlich alt und seelisch verwirrt sei.
Baiba nahm sofort ab, als er anrief. Ihre Stimme klang froh. Er erzählte von der Reise, und danach wiederholte er seine Frage vom Sommer. Da sagte sie, daß sie auch nachgedacht habe. Ihre Zweifel waren nicht verschwunden, sie hatten sich nicht verringert, aber auch nicht vermehrt.
»Komm her«, sagte Wallander. »Darüber können wir nicht am Telefon sprechen.«
»Ja«, antwortete sie. »Ich komme.«
Sie hatten keinen Zeitpunkt festgelegt. Darüber würden sie später reden. Sie hatte ihre Arbeit an der Universität in Riga. Ihr Urlaub mußte immer lange im voraus geplant werden. Aber als Wallander den Hörer auflegte, glaubte er eine Gewißheit zu spüren, daß er jetzt in eine neue Phase seines Lebens eintrat. Sie würde kommen. Er würde wieder heiraten.
In dieser Nacht konnte er lange nicht einschlafen. Mehrere Male stand er auf, stellte sich ans Küchenfenster und sah in den Regen hinaus. Er würde die Straßenlaterne vermissen, die dort draußen schwankte, einsam im Wind.
Obwohl er zu wenig Schlaf bekommen hatte, war er am Dienstag morgen früh auf den Beinen. Schon kurz nach sieben parkte er seinen Wagen vor dem Polizeigebäude und eilte durch Regen und Wind ins Haus. Als er sein Zimmer betrat, war er entschlossen, sich sofort an die umfangreiche Akte mit den Autodiebstählen zu setzen. Je länger er es vor sich herschob, um so mehr würden seine Unlust und sein Mangel an Inspiration ihn belasten. Er hängte die |46| Jacke zum Trocknen über den Besucherstuhl. Dann holte er den fast halbmeterhohen Stapel mit Ermittlungsmaterial von einem Regal. Er hatte gerade die Mappen geordnet, als es an der Tür klopfte. Wallander konnte hören, daß es Martinsson war, und rief ihn herein.
»Während du weg warst, war ich morgens immer der erste hier«, sagte Martinsson. »Jetzt bin ich wieder ewiger Zweiter.«
»Ich habe solche Sehnsucht nach meinen Autos gehabt«, sagte Wallander und zeigte auf die Mappen, die seinen Schreibtisch bedeckten.
Martinsson hielt ein Blatt Papier in der Hand. »Ich habe gestern vergessen, dir dies zu geben«, sagte er. »Lisa Holgersson wollte, daß du es dir einmal ansiehst.«
»Was ist das?«
»Lies selbst. Du weißt ja, daß manche Leute meinen, wir Polizisten sollten zu allem möglichen unseren Senf abgeben.«
»Ist es eine Ausschußumfrage?«
»Ungefähr.«
Wallander blickte Martinsson, der sonst selten vage Antworten gab, fragend an. Vor einigen Jahren war Martinsson in der Folkparti aktiv gewesen und hatte wahrhaftig von einer politischen Karriere geträumt. Soweit Wallander wußte, war dieser Traum in dem gleichen Maß verblaßt, wie die Partei geschrumpft war. Er unterließ es, das Wahlergebnis der Partei bei den Wahlen der vergangenen Woche zu kommentieren.
Martinsson ging, und Wallander las das Papier durch. Als er es zweimal gelesen hatte, war er wütend. Er konnte sich nicht erinnern, wann er zuletzt so empört gewesen war. Er ging auf den Flur und in Svedbergs Zimmer, dessen Tür wie üblich angelehnt war.
»Hast du das hier gesehen?« fragte er und wedelte mit Martinssons Papier.
Svedberg schüttelte den Kopf »Was ist das?«
»Es kommt von einer neugegründeten Organisation, die hören will, ob die Polizei etwas gegen ihren Namen einzuwenden hat.«
»Und wie ist der?«
»Sie wollen sich ›Freunde der Axt‹ nennen.«
Svedberg sah Wallander verständnislos an. »Freunde der Axt?«
|47| »Freunde der Axt. Und jetzt wollen sie wissen – wegen der Dinge, die hier im Sommer passiert sind –, ob der Name eventuell falsch ausgelegt werden kann. Diese Organisation verfolgt nämlich nicht den Zweck, Leute zu skalpieren.«
»Sondern?«
»Wenn ich recht verstehe, ist es eine Art Heimatverein, der versuchen will, ein Museum für altes Werkzeug einzurichten.«
»Klingt doch gut. Warum bist du so sauer?«
»Weil sie glauben, die Polizei hätte Zeit, zu so etwas Stellung zu nehmen. Persönlich kann ich zwar der Meinung sein, daß Freunde der Axt ein merkwürdiger Name für einen Heimatverein ist. Aber als Polizist werde ich sauer, wenn ich mit so etwas meine Zeit vergeuden soll.«
»Sag’s der Chefin.«
»Das tue ich auch.«
»Obwohl sie nicht deiner Meinung sein wird. Wir sollen nämlich jetzt alle wieder bürgernahe Polizisten werden.«
Wallander sah ein, daß Svedberg mit großer Wahrscheinlichkeit recht hatte. Während
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