Wallander 06 - Die fünfte Frau
saß im Lehm. Es gelang ihnen nicht, ihn aufzurichten. Ein Fotograf, der sich an den Krankenwagen angehängt hatte, als dieser aus Ystad losgefahren war, hatte ein Bild von Wallander gemacht, wie er da saß. Schmutzig, verloren, verzweifelt. Es gelang dem Fotografen, dieses eine Bild zu machen, bevor Svedberg ihn rasend vor Wut fortjagte. Auf Intervention Lisa Holgerssons wurde es nie veröffentlicht.
In der Zwischenzeit hatten Svedberg und Hamrén Yvonne Ander vom Turm heruntergeschafft. Wallander hatte sie am Oberschenkel getroffen. Sie blutete stark, aber es bestand wohl keine Lebensgefahr. Auch sie wurde mit einem Krankenwagen fortgebracht. Svedberg und Hamrén gelang es schließlich, Wallander aus dem Lehm hochzuziehen und ihn mit hinauf zum Hof zu schleppen.
Da kam auch die erste Nachricht aus dem Krankenhaus in Ystad. Ann-Britt Höglund hatte einen Bauchschuß. Die Verletzung war schwer. Ihr Zustand war kritisch.
Wallander war mit Svedberg gefahren, um seinen eigenen Wagen zu holen. Svedberg war bis zum Schluß nicht sicher, ob er Wallander allein nach Ystad fahren lassen durfte. Aber Wallander hatte gesagt, daß keine Gefahr bestünde. Er war auf direktem Weg ins Krankenhaus gefahren und hatte im Korridor gesessen und auf einen Bescheid über Ann-Britt Höglunds Zustand gewartet. Er hatte sich noch nicht gewaschen, und erst als die Ärzte nach vielen Stunden zusicherten, daß ihr Zustand sich stabilisiert habe, verließ er das Krankenhaus.
Plötzlich war er einfach verschwunden. Keiner hatte bemerkt, |540| daß er nicht mehr da war. Svedberg begann, sich Sorgen zu machen. Aber er glaubte doch, Wallander so gut zu kennen, daß er begriff, daß dieser jetzt nur in Ruhe gelassen werden wollte.
Wallander hatte das Krankenhaus kurz vor Mitternacht verlassen. Der Wind war noch immer schneidend, und es würde eine kalte Nacht werden. Er setzte sich in den Wagen und fuhr zum Friedhof hinaus, auf dem sein Vater begraben lag. Er suchte im Dunkeln das Grab und stand da und war vollkommen leer, und noch immer hatte er sich den Lehm nicht abgewaschen. Gegen ein Uhr kam er nach Hause und rief Baiba in Riga an. Erst danach zog er seine Sachen aus und legte sich in die Badewanne.
Nachdem er sich wieder angezogen hatte, fuhr er zurück ins Krankenhaus. Dort ging er um kurz nach drei in der Nacht auch in das Zimmer, in dem Yvonne Ander unter strenger Bewachung lag. Sie schlief, als er vorsichtig den Raum betrat. Er stand lange da und betrachtete ihr Gesicht. Dann ging er fort, ohne ein Wort zu sagen.
Aber schon nach einer Stunde war er wieder zurück. Früh im Morgengrauen kam Lisa Holgersson ins Krankenhaus und sagte, daß sie Ann-Britts Mann erreicht hätten, der sich in Dubai befand. Er würde im Laufe des Tages nach Kastrup kommen.
Keiner wußte, ob Wallander aufnahm, was sie zu ihm sagten. Er saß reglos auf einem Stuhl oder stand an einem Fenster und starrte hinaus in den stürmischen Wind. Als eine Krankenschwester ihm eine Tasse Kaffee bringen wollte, brach er plötzlich in Tränen aus und schloß sich in einer Toilette ein. Aber die meiste Zeit saß er unbeweglich auf seinem Stuhl und starrte seine Hände an.
Ungefähr zur gleichen Zeit, als Ann-Britt Höglunds Mann in Kastrup landete, konnte ein Arzt die Nachricht bringen, auf die sie alle warteten. Sie würde durchkommen. Wahrscheinlich würde sie auch keine ernsthaften Folgeschäden davontragen. Sie hatte Glück gehabt. Aber die Genesung würde Zeit brauchen, es würde lange dauern, bis sie wieder voll hergestellt war.
Wallander hatte den Arzt stehend angehört, als ob er ein Urteil entgegennähme. Danach hatte er einfach das Krankenhaus verlassen und war irgendwo im Sturm verschwunden.
|541| Am Montag, dem 24. Oktober, wurde gegen Yvonne Ander Anklage wegen Mordes erhoben. Sie war zu diesem Zeitpunkt noch im Krankenhaus. Sie hatte noch kein einziges Wort gesprochen, nicht einmal zu dem Verteidiger, der ihr zugeteilt wurde. Wallander hatte am Nachmittag versucht, ein Verhör mit ihr zu führen. Sie hatte ihn nur angesehen, ohne auf seine Fragen zu antworten. Als Wallander gehen wollte, hatte er sich in der Tür noch einmal umgewandt und zu ihr gesagt, daß Ann-Britt Höglund mit dem Leben davonkommen werde. Er glaubte da, eine Reaktion bei ihr zu erkennen, wie Erleichterung, vielleicht sogar Freude.
Martinsson wurde wegen einer Gehirnerschütterung krank geschrieben. Hansson kam weiter in den Dienst, auch wenn er mehrere Wochen lang
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