Wallander 06 - Die fünfte Frau
Sohlen kleben. Die Krähen tauchten auf den Acker hinunter, verschwanden und flogen wieder auf. Wallander nahm an, daß dort eine Senke oder ein Graben war. Er ging weiter. Die Umrisse des Turms wurden schärfer. Er vermutete, daß er für die Jagd auf Hasen und Rotwild errichtet worden war. Am Fuße des Hügels auf der anderen Seite war ein Waldgelände. Vermutlich gehörte es zu Holger Erikssons Grundstück. Dann sah er den Graben vor sich. Einige |79| schwere Planken schienen hineingerutscht zu sein. Die Krähen schrien immer lauter, je näher er kam. Dann flogen sie auf, alle auf einmal, und verschwanden. Wallander ging auf den Graben zu und sah hinunter.
Er fuhr zusammen und tat einen Schritt zurück. Ihm wurde sofort schlecht.
Hinterher sagte er, daß es das Schlimmste war, was er jemals gesehen hatte. Und er war in seinen Jahren als Polizist gezwungen, vieles zu sehen, was er sich lieber erspart hätte.
Als er da stand und der Regen ihm in die Jacke und unters Hemd lief, begriff er zunächst nicht, worauf er starrte. Es war etwas Fremdes und Unwirkliches. Etwas, dem er noch nie zuvor nahe gewesen war.
Nur eins war vollkommen klar – im Graben befand sich ein toter Mensch.
Vorsichtig ging er in die Hocke. Er mußte sich zwingen hinzusehen. Der Graben war tief, mindestens zwei Meter. Eine Reihe spitzer Stangen war in den Grund des Grabens eingelassen. Auf diesen Stangen hing ein Mann. Die blutigen Stangen mit ihren speerähnlichen Spitzen waren an einigen Stellen durch den Körper gedrungen. Der Mann lag vornüber. Er hing auf den Stangen. Die Krähen hatten seinen Nacken aufgehackt. Wallander kam wieder hoch. Er merkte, wie seine Beine zitterten. Irgendwo in der Ferne hörte er das Geräusch sich nähernder Autos. Er nahm an, daß es die Hundestaffel war.
Er tat einen Schritt zurück. Die Stangen schienen aus Bambus zu sein. Wie kräftige Angelruten mit nadelscharfen Spitzen. Dann betrachtete er die Planken, die in den Graben gefallen waren. Da der Pfad auf der anderen Seite weiterging, mußte es ein Steg gewesen sein. Warum waren sie gebrochen? Es waren kräftige Planken, die schwere Belastung aushielten. Außerdem war der Graben nicht breiter als zwei Meter.
Als er einen Hund bellen hörte, ging er zurück zum Hof. Ihm war jetzt speiübel, und er hatte Angst. Es war eine Sache, daß er einen Menschen entdeckt hatte, der ermordet worden war. Aber die Art und Weise!
Jemand hatte angespitzte Stangen in den Graben gesteckt. Der Mann war aufgespießt worden.
|80| Er blieb auf dem Pfad stehen und holte tief Luft.
Erinnerungsbilder vom Sommer schwirrten durch seinen Kopf. War es wieder soweit? Gab es keine Grenzen für das, was in diesem Land geschehen konnte? Wer spießte einen alten Mann auf Stangen in einem Graben auf?
Er ging weiter. Zwei Polizisten mit Hunden warteten vor dem Haus. Auch Ann-Britt Höglund und Hansson waren da. Beide trugen Regenjacken und hatten die Kapuzen über den Kopf gezogen.
Als er zum Ende des Pfads kam und auf den kopfsteingepflasterten Hof trat, sahen ihm alle an, daß etwas passiert war.
Wallander wischte sich den Regen aus dem Gesicht und sagte, was los war. Er spürte, daß seine Stimme unsicher war. Er wandte sich um und zeigte auf den Krähenschwarm, der sogleich zurückgekehrt war, nachdem er den Graben verlassen hatte.
»Da unten liegt er«, sagte er. »Er ist tot. Ermordet. Fordert die volle Besetzung an.«
Sie warteten darauf, daß er noch mehr sagen würde.
Aber das tat er nicht.
|81| 6
Bei Einbruch der Dunkelheit am Donnerstag abend, dem 29. September, hatten sie über der Stelle des Grabens, wo der tote Holger Eriksson hing, von neun kräftigen Bambusstangen aufgespießt, einen Regenschutz errichtet. Der mit Blut vermischte Schlamm vom Grund des Grabens war hochgeschaufelt worden. Die makabre Arbeit und der ununterbrochene Regen machten den Ort des Verbrechens zu einem der düstersten und widerwärtigsten, die Wallander und seine Kollegen je gesehen hatten. Der Lehm klebte und klumpte unter ihren Stiefeln, sie stolperten über Stromkabel, die sich im Schlamm ringelten, und das starke Licht der Scheinwerfer, die sie aufgestellt hatten, erhöhte nur noch den Eindruck von Unwirklichkeit und Beklommenheit. Inzwischen hatten sie auch Sven Tyrén herausgebracht, der den Mann auf den Stangen identifizieren sollte. Es war Holger Eriksson. Daran bestand kein Zweifel. Die Suche nach dem Verschwundenen war schon beendet. Tyrén war seltsam gefaßt, als sei er sich
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