Wallander 06 - Die fünfte Frau
echt. »Wo sind Sie?« fragte Wallander.
»Ich bin auf dem Rückweg von Malmö. Ich war im Terminal und hab Öl getankt.«
»Ich fahre zu Erikssons Hof«, sagte Wallander. »Können Sie vorbeikommen?«
»Ich komme«, antwortete Tyrén. »In einer Stunde bin ich da. Ich muß nur vorher bei einem Pflegeheim noch Öl loswerden. Man will ja nicht, daß die Alten frieren. Oder?«
Wallander legte auf. Dann verließ er das Polizeipräsidium. Es hatte angefangen zu nieseln.
Ihm war nicht wohl zumute, als er Ystad verließ. Hätte er nicht die Magengeschichte gehabt, wäre es nicht zu diesem Mißverständnis gekommen.
Er war jetzt auch überzeugt, daß Tyréns Sorge berechtigt war. Im Grunde wußte er das bereits seit Dienstag. Und jetzt war Donnerstag, und nichts war unternommen worden.
Als er Holger Erikssons Hof erreichte, war der Regen stärker geworden. Er zog die Gummistiefel an, die er im Kofferraum hatte. Im Briefkasten lagen eine Zeitung und ein paar Briefe. Er ging auf den Hof und klingelte. Dann schloß er mit dem Reserveschlüssel auf. Er versuchte zu spüren, ob jemand dagewesen war. Aber alles war so, wie er es verlassen hatte. Das Fernglasfutteral im Flur war noch immer leer. Auf dem Schreibtisch lag das einsame Blatt Papier. Wallander ging wieder hinaus auf den Hof. Einen Moment stand er still da und betrachtete nachdenklich einen leeren Hundezwinger. Irgendwo draußen auf einem Acker lärmte ein Schwarm Krähen. Ein toter Hase, dachte er geistesabwesend. Dann ging er zu seinem Wagen und holte eine Taschenlampe. Methodisch begann er, das Haus zu durchsuchen. Holger Eriksson hatte überall Ordnung gehalten. Wallander bewunderte |75| lange eine gutgepflegte, glänzende alte Harley-Davidson, die in einem als Garage und Werkstatt eingerichteten Teil eines Flügels stand. Da hörte er, wie sich ein Lastwagen näherte. Er ging Sven Tyrén entgegen. Wallander schüttelte den Kopf, als Tyrén aus dem Führerhaus kletterte und ihn ansah. »Er ist nicht da«, sagte er.
Sie gingen ins Haus. Wallander nahm Tyrén mit in die Küche. In einer Jackentasche fand er ein paar zusammengefaltete Blatt Papier, aber keinen Schreiber. Er holte den, der auf dem Schreibtisch neben dem Gedicht über den Mittelspecht lag.
»Ich hab nichts weiter zu sagen«, meinte Sven Tyrén abweisend. »Würden Sie nicht besser nach ihm suchen?«
»Man hat immer mehr zu sagen, als man glaubt«, erwiderte Wallander und ließ sich seine Irritation über Tyréns abweisende Haltung anmerken.
»Und was weiß ich, wovon ich nichts weiß?«
»Haben Sie selbst mit ihm gesprochen, als er das Öl bestellte?«
»Er rief im Büro an. Da sitzt ein Mädchen. Sie schreibt die Lieferscheine für mich. Sie weiß immer, wo ich bin. Ich rufe sie ein paarmal am Tag an.«
»Und er war wie immer, als er anrief?«
»Da müssen Sie sie selbst fragen.«
»Das werde ich auch. Wie heißt sie?«
»Rut. Rut Eriksson.«
Wallander schrieb.
»Ich hab mal einen Tag Anfang August hier angehalten«, sagte Tyrén. »Das war das letzte Mal, daß ich ihn gesehen habe. Und da war er wie immer. Er hat mir Kaffee angeboten und ein paar neue Gedichte vorgelesen. Außerdem war er ein guter Geschichtenerzähler. Aber es war grob.«
»Was meinen Sie damit? Grob?«
»Na ja, fast so, daß ich rot geworden bin.«
Wallander starrte ihn an. Dann merkte er plötzlich, daß er an seinen Vater dachte, der auch grobe Geschichten erzählen konnte.
»Hatten Sie je den Eindruck, daß er anfing senil zu werden?«
»Er war so klar im Kopf wie Sie und ich zusammen.«
|76| Wallander betrachtete Tyrén und versuchte zu entscheiden, ob er beleidigt worden war oder nicht. Er ließ es auf sich beruhen. »Hatte Holger Eriksson keine Verwandten?«
»Er war nie verheiratet. Er hatte keine Kinder. Keine Freundin. Nicht soweit ich weiß.«
»Andere Verwandte?«
»Er erwähnte nie welche. Eine Organisation in Lund sollte sein Vermögen erben.«
»Was für eine Organisation?«
Tyrén zuckte die Achseln. »Irgendein Heimatverein. Ich weiß nicht.«
Wallander dachte mit Unbehagen an die Freunde der Axt. Er nahm an, daß Holger Eriksson den Museumsverein in Lund als Erben bestimmt hatte. Er machte Notizen. »Wissen Sie, ob er noch etwas anderes besessen hat?«
»Was hätte das sein sollen?«
»Vielleicht einen anderen Hof? Ein Haus in der Stadt? Vielleicht eine Wohnung?«
Tyrén dachte nach, bevor er antwortete. »Nein«, sagte er dann. »Es war dieser Hof. Der Rest ist auf der Bank. Der
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