Wallander 06 - Die fünfte Frau
Polizeidistrikt in Schweden, in dem man dich nicht gern sähe.«
Sie waren bei ihrem Wagen stehengeblieben. Wallander spürte, daß sie ernst meinte, was sie sagte. Aber er war zu erschöpft, um sich darüber zu freuen.
|86| »Geh die Sache so an, wie du es für richtig hältst«, fuhr sie fort. »Sag, wie du es haben willst, und ich regle das.«
Wallander nickte. »In ein paar Stunden sehen wir weiter«, sagte er. »Jetzt müssen wir erst mal schlafen, du und ich.«
Als er in die Wohnung in der Mariagatan kam, war es fast zwei Uhr. Er machte sich ein paar Brote und aß sie am Küchentisch. Dann legte er sich aufs Bett und stellte den Wecker auf kurz nach fünf.
Um sieben, im grauen Morgenlicht, waren sie wieder versammelt. Der Meteorologe hatte recht gehabt; es regnete nicht mehr. Aber ein kräftiger Wind wehte, und es war kälter geworden. Die Polizisten, die mit Nyberg zusammen die Nacht am Tatort verbracht hatten, mußten die Kunststoffplane über dem Graben provisorisch verankern, damit sie nicht fortwehte. Als es dann plötzlich aufhörte zu regnen, hatte Nyberg einen Wutausbruch gegen die launischen Wettergötter bekommen. Weil kaum zu erwarten war, daß sogleich eine neue Regenfront käme, hatten sie die Plastikabdeckung entfernt und waren nun schutzlos dem beißenden Wind ausgesetzt.
Wallander hatte auf dem Weg zu Erikssons Hof versucht, einen Plan zu entwickeln, wie sie bei den Ermittlungen vorgehen sollten. Sie wußten fast nichts über den Toten. Die Tatsache, daß er vermögend war, konnte natürlich ein Motiv ergeben. Aber Wallander zweifelte von Anfang an daran. Die angespitzten Bambusstäbe im Graben sprachen eine andere Sprache. Er konnte sie nicht deuten, aber er fürchtete bereits, daß eine Aufgabe vor ihnen lag, die den normalen Rahmen ihrer Tätigkeit sprengte.
Wie immer, wenn er unsicher war, dachte er an Rydberg, den alten Kriminalbeamten, der einst sein Lehrer war und ohne dessen Kenntnisse er selbst vermutlich ein durchschnittlicher Ermittler geworden wäre. Rydberg war vor bald vier Jahren an Krebs gestorben. Wallander schauderte beim Gedanken daran, wie schnell die Zeit vergangen war. Dann stellte er sich die Frage, was Rydberg getan hätte.
Geduld
, dachte er.
Rydberg würde sofort den Kernsatz seines Credos loslassen. Er würde mir sagen, daß der Grundsatz, Geduld zu haben, jetzt wichtiger sei denn je.
|87| Sie richteten in Erikssons Haus ein provisorisches Fahndungsbüro ein. Wallander versuchte, die wichtigsten Aufgaben zu formulieren und dafür zu sorgen, daß sie so sinnvoll wie möglich verteilt wurden.
Eigentlich stand nur eins fest: Sie hatten nichts, wovon sie ausgehen konnten.
»Wir wissen sehr wenig«, begann er. »Sven Tyrén, der Fahrer eines Tanklasters, meldet uns, daß seiner Meinung nach ein Mensch verschwunden ist. Das war am Dienstag. Nach dem, was Tyrén gesagt hat, und aufgrund der Datierung des Gedichts ist der Mord wahrscheinlich irgendwann nach zehn Uhr abends am Mittwoch voriger Woche verübt worden. Es war auf jeden Fall nicht früher. Wir müssen die gerichtsmedizinische Untersuchung abwarten.«
Wallander machte eine Pause, keiner fragte etwas. Svedberg putzte sich die Nase. Er hatte glänzende Augen und Wallander dachte, daß er wahrscheinlich Fieber hatte und zu Hause im Bett liegen sollte. Gleichzeitig wußten beide, daß sie jetzt alle verfügbaren Kräfte brauchten.
»Über Holger Eriksson ist uns nicht viel bekannt«, fuhr Wallander fort. »Er war früher Autohändler. Vermögend, unverheiratet, keine Kinder. Er war eine Art Heimatdichter und außerdem offenbar an Vögeln interessiert.«
»Ein bißchen mehr wissen wir vielleicht doch«, unterbrach Hansson. »Holger Eriksson war ein bekannter Mann. Auf jeden Fall hier in der Gegend – und besonders vor zehn, zwanzig Jahren. Man kann sagen, daß er als Autoverkäufer den Ruf eines Halsabschneiders hatte. Harte Bandagen. Konnte Gewerkschaften nicht ausstehen. Verdiente massig Geld. War in Steueraffären verwickelt und wurde mehrfach illegaler Transaktionen verdächtigt. Aber soweit ich mich erinnern kann, wurde er nie verurteilt.«
»Du meinst mit anderen Worten, daß er Feinde hatte«, sagte Wallander.
»Da können wir ziemlich sicher sein. Was aber nicht heißt, daß sie auch bereit wären, einen Mord zu begehen. Schon gar nicht so einen.«
Wallander beschloß, die angespitzten Stäbe und den angesägten |88| Steg erst einmal beiseite zu lassen. Er wollte die Dinge der Reihe nach
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