Wallander 06 - Die fünfte Frau
jetzt aus.« Niemand hatte etwas einzuwenden. Alle wollten nur weg. Alle, außer Sven Nyberg. Wallander wußte, daß er bleiben würde. Er würde die Nacht durcharbeiten und noch dasein, wenn sie zurückkämen. Als die anderen langsam zu den Autos auf dem Hof gingen, blieb Wallander noch da.
»Was glaubst du?« fragte er.
»Ich glaube gar nichts«, antwortete Sven Nyberg. »Außer daß ich noch nie in meinem Leben auch nur etwas Vergleichbares gesehen habe.«
Wallander nickte stumm. Ihm ging es nicht anders.
Sie standen da und sahen in den Graben hinunter. Die Regenplane war zurückgeschlagen.
»Was ist das eigentlich, was wir hier vor uns haben?« fragte Wallander.
»Die Kopie einer asiatischen Raubtierfalle«, erwiderte Nyberg, »wie sie auch im Krieg benutzt wurde.«
|84| Wallander nickte.
»So kräftiger Bambus wächst nicht in Schweden«, fuhr Nyberg fort. »Wir importieren ihn für Angelruten oder als Einrichtungsmaterial.«
»Außerdem gibt es in Schweden keine Raubtiere«, sagte Wallander nachdenklich. »Und Krieg haben wir auch nicht. Was ist das also, was wir hier sehen?«
»Etwas, was nicht hierhergehört«, sagte Nyberg. »Etwas, was nicht in Ordnung ist. Etwas, was mir angst macht.«
Wallander betrachtete ihn aufmerksam. Es kam selten vor, daß Nyberg so viele Worte machte. Und daß er persönliche Gefühle von Unbehagen und Angst zum Ausdruck brachte, war ganz und gar ungewöhnlich.
»Arbeite nicht zu lange«, sagte Wallander zum Abschied.
Nyberg antwortete nicht.
Wallander stieg über die Absperrung, nickte den Polizisten zu, die den Tatort über Nacht bewachen sollten, und ging zum Hof hinauf. Etwa in der Mitte des Pfades war Lisa Holgersson stehengeblieben und wartete auf ihn. Sie hielt eine Taschenlampe. »Wir haben Journalisten da vorne«, sagte sie. »Was können wir eigentlich sagen?«
»Nicht viel«, meinte Wallander.
»Wir können ihnen nicht einmal Holger Erikssons Namen geben«, sagte sie.
Wallander dachte nach. »Ich glaube doch«, sagte er dann. »Ich übernehme die Verantwortung dafür, daß dieser Tankwagenfahrer wirklich weiß, was er sagt. Daß Holger Eriksson keine Angehörigen hatte. Wenn wir niemandem die Todesbotschaft überbringen müssen, können wir seinen Namen ebensogut angeben. Es kann uns helfen.«
Sie gingen weiter.
»Sonst noch etwas?« fragte sie.
»Daß es sich um einen Mord handelt«, sagte Wallander. »Das können wir mit Sicherheit sagen. Aber wir haben kein Motiv, keine Spuren und keine Tatverdächtigen.«
»Hast du dir schon eine Meinung gebildet?«
Wallander merkte, wie müde er war. Jeder Gedanke, jedes Wort, |85| das er aussprechen mußte, bereitete ihm eine beinahe unüberwindliche Anstrengung. »Ich habe nichts anderes gesehen als du«, sagte er. »Aber das Ganze wurde sorgfältig geplant. Holger Eriksson ist direkt in eine Falle gelaufen, und die ist zugeschnappt. Daraus kann man ohne größere Mühe erst einmal drei Schlußfolgerungen ziehen.«
Sie blieben wieder stehen. Der Regen hatte nun aufgehört.
»Erstens können wir davon ausgehen, daß derjenige, der das hier getan hat, Holger Eriksson und zumindest einen Teil seiner Gewohnheiten kannte«, begann Wallander. »Zweitens, daß der Täter wirklich den Vorsatz hatte, ihn zu töten.«
»Du hast gesagt, wir wissen drei Sachen?«
Wallander betrachtete ihr bleiches Gesicht im Licht der Taschenlampe. Er fragte sich, wie er selbst wohl aussah. War die Farbe von seiner Italienreise während der Nacht vom Regen abgewaschen worden?
»Der Täter wollte Holger Eriksson nicht nur umbringen, er wollte ihn auch quälen. Holger Eriksson kann ziemlich lange auf diesen Stangen gehangen haben, bevor er starb. Niemand hat ihn gehört. Nur die Krähen. Wie lange er gelitten hat, können uns die Ärzte vielleicht irgendwann sagen.«
Lisa Holgersson machte eine Grimasse des Abscheus. »Wer tut so was?« fragte sie bedrückt.
»Ich weiß nicht«, sagte Wallander. »Ich weiß nur, daß mir schlecht wird.«
Am Rand des Ackers warteten zwei verfrorene Journalisten und ein Fotograf. Wallander nickte, er kannte sie von früher. Er sah Lisa Holgersson an, die den Kopf schüttelte. Wallander erzählte so kurz wie möglich, was passiert war. Als sie Fragen stellen wollten, hob er abwehrend die Hand. Die Journalisten entfernten sich.
»Du hast einen guten Ruf als Kriminalbeamter«, sagte Lisa Holgersson. »Im Sommer ist mir klargeworden, was für ein Leistungsvermögen du hast. Es gibt keinen
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