Wallander 06 - Die fünfte Frau
Holgersson ist ohne Zweifel Polizistin.
|183| »Es kann so sein«, sagte er. »Aber ich glaube es nicht. Wegen etwas, was Vanja Andersson gesagt hat. Daß er furchtbar abgemagert sei.«
»Ich verstehe den Zusammenhang nicht.«
»Ich denke nur, daß eine schnelle Abmagerung auch eine zunehmende Kraftlosigkeit mit sich gebracht haben muß.«
Sie nickte.
»Er bleibt in dem Seil hängen«, fuhr Wallander fort. »Der Täter hat keinerlei Bedürfnis, seine Tat zu verbergen. Oder die Leiche. Das ist wie im Fall Holger Eriksson.«
»Warum hier?« fragte sie. »Warum einen Menschen an einem Baum festzurren? Warum diese Brutalität?«
»Wenn wir das wissen, begreifen wir vielleicht, warum es überhaupt geschehen ist«, antwortete Wallander.
»Und was denkst du?«
»Ich denke so vieles«, gab Wallander zurück. »Es ist wohl am besten, wenn wir Nyberg und seine Leute jetzt in Ruhe arbeiten lassen. Es ist wichtiger, daß wir uns in Ystad sammeln und die Lage besprechen, als daß wir hier im Wald herumlaufen und uns verausgaben. Im Moment ist hier sowieso nichts mehr zu sehen.«
Sie hatte keine Einwände. Um zwei Uhr ließen sie Nyberg und seine Techniker allein im Wald zurück. Es nieselte leicht, und der Wind hatte aufgefrischt. Wallander ging als letzter.
Was tun wir jetzt? Wie machen wir weiter? grübelte er. Wir haben kein Motiv und keinen Verdächtigen. Alles, was wir haben, ist ein Tagebuch, das einem Mann namens Harald Berggren gehört hat. Ein Vogelbeobachter und ein passionierter Blumenliebhaber sind ermordet worden. Mit ausgeklügelter Grausamkeit. Beinah demonstrativ.
Er versuchte, sich zu erinnern, was Ann-Britt Höglund gesagt hatte. Es war wichtig gewesen. Etwas über das ausgeprägt Männliche. Das hatte dann dazu geführt, daß er selbst immer mehr an einen Täter mit militärischem Hintergrund gedacht hatte. Harald Berggren war allerdings Söldner gewesen – man konnte ihn kaum einen Militär nennen –, ein Mensch, der nicht sein Land oder eine Sache verteidigte. Er war ein Mann gewesen, der Menschen für einen Monatslohn in bar getötet hatte.
|184| Auf jeden Fall ist das ein Ausgangspunkt, dachte er. Daran müssen wir uns halten, solange er hält.
Er verabschiedete sich von Nyberg.
»Hast du etwas Besonderes, wonach wir suchen sollen?« fragte Nyberg.
»Nein. Nur achtet auf alles, was eventuell an das erinnert, was mit Holger Eriksson passiert ist.«
»Ich finde, alles erinnert daran«, sagte Nyberg. »Außer möglicherweise die Bambusstäbe.«
»Morgen früh müssen Hunde hier draußen sein«, sagte Wallander.
»Dann bin ich bestimmt noch hier«, sagte Nyberg düster.
»Ich werde mit Lisa über deine Arbeitssituation sprechen«, sagte Wallander und hoffte, daß das als zumindest symbolische Aufmunterung dienen konnte.
»Das lohnt sich kaum«, sagte Nyberg.
»Es lohnt sich auf jeden Fall noch weniger, es bleiben zu lassen«, gab Wallander zurück.
Um Viertel vor drei in der Frühe waren sie im Polizeigebäude versammelt. Wallander kam als letzter ins Sitzungszimmer. Er erblickte müde und verquollene Gesichter und sah ein, daß er der Fahndungsgruppe jetzt vor allem neue Energie vermitteln mußte. Aus Erfahrung wußte er, daß in jeder Ermittlung ein Augenblick kam, wo alles Selbstvertrauen verbraucht zu sein schien. Aber diesmal war dieser Augenblick ungewöhnlich früh gekommen.
Wir hätten einen ruhigen Herbst gebraucht, dachte Wallander. Alle hier sind noch ausgelaugt nach dem letzten Sommer.
Er setzte sich und bekam von Hansson eine Tasse Kaffee serviert.
»Dies hier wird nicht leicht«, begann er. »Was wir alle insgeheim befürchtet haben, ist eingetroffen. Gösta Runfelt ist ermordet worden. Vermutlich vom selben Täter, der Holger Eriksson umgebracht hat. Wir wissen nicht, was das bedeutet. Wir wissen zum Beispiel nicht, ob wir noch mehr unangenehme Überraschungen erleben. Wir wissen nicht, ob es angefangen hat, dem zu gleichen, was wir im Sommer erlebt haben. Ich möchte aber davor |185| warnen, andere Parallelen zu ziehen, als daß wir es offenbar mit einem Täter zu tun haben, der mehr als einmal zugeschlagen hat. Ansonsten gibt es viel, worin sich diese Verbrechen unterscheiden. Mehr, als was sie vereint.«
Er machte eine Pause, um eventuelle Kommentare zu ermöglichen. Aber keiner hatte etwas zu sagen.
»Wir müssen auf breiter Front vorgehen«, fuhr er fort. »Ohne vorgefaßte Meinungen, aber konsequent. Wir müssen Harald Berggren ausfindig machen. Wir
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