Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wallander 06 - Die fünfte Frau

Wallander 06 - Die fünfte Frau

Titel: Wallander 06 - Die fünfte Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
fast jeden Abend laufen?« fuhr er fort. »Wenn Sie im Dunkeln trainieren.«
    »Ich bin gestern hier gelaufen. Aber früher. Ich bin zwei Runden gelaufen. Zuerst die lange. Dann die kurze. Da hab ich die Abkürzung genommen.«
    »Um wieviel Uhr war das?«
    »Zwischen halb zehn und zehn.«
    »Und da haben Sie nichts entdeckt?«
    »Nein.«
    »Kann er sich an dem Baum befunden haben, ohne daß Sie ihn gesehen hätten?«
    Lars Olsson dachte nach. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich komme jedesmal an dem Baum vorbei. Ich hätte ihn gesehen.«
    Dann wissen wir das auf jeden Fall, dachte Wallander. Fast drei Wochen lang war Gösta Runfelt irgendwo anders. Und er hat gelebt. Der Mord ist irgendwann in den letzten vierundzwanzig Stunden geschehen.
    »Lassen Sie Adresse und Telefonnummer da«, sagte er. »Wir melden uns noch einmal.«
    »Wer tut so etwas?« sagte Lars Olsson.
    »Das frage ich mich auch«, gab Wallander zurück.
    Dann verließ er Lars Olsson. Er reichte Peters die Taschenlampe, als er seine eigene und das Telefon bekam. Während Bergman Lars Olssons Adresse notierte, rief Peters im Polizeipräsidium an. Wallander holte tief Luft und näherte sich dem Mann, der in den Seilen hing. Es erstaunte ihn einen Augenblick, daß er überhaupt nicht an seinen Vater dachte, als er sich nun wieder in der Nähe des Todes befand. Aber im Innersten wußte er, warum er |177| es nicht tat. Er hatte es schon so oft erlebt. Tote Menschen waren nicht nur tot. Sie hatten nichts Menschliches mehr an sich. Es war, als nähere man sich einem leblosen Gegenstand, wenn man das erste Unbehagen überwunden hatte. Wallander befühlte vorsichtig Gösta Runfelts Nacken. Alle Körperwärme war verschwunden. Etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Den Todeszeitpunkt zu bestimmen, im Freien und bei ständig wechselnden Temperaturen, war ein komplizierter Prozeß. Wallander betrachtete den Brustkorb des Mannes. Auch die Hautfarbe sagte ihm nichts darüber, wie lange er hier schon hing. Er wies auch keine Verletzungen auf. Erst als Wallander seinen Hals anleuchtete, sah er blaue Verfärbungen. Das konnte darauf hindeuten, daß Gösta Runfelt erhängt worden war. Danach betrachtete Wallander das Seil. Es war um seinen Körper geschlungen, von den Schenkeln aufwärts bis zu den obersten Rippen. Der Knoten war einfach. Das Seil war nicht besonders stramm angezogen. Das verwunderte ihn. Er trat einen Schritt zurück und beleuchtete den ganzen Körper. Dann ging er um den Baum herum. Die ganze Zeit achtete er darauf, wohin er die Füße setzte. Er ging nur eine Runde. Er setzte voraus, daß Peters Bergman gesagt hatte, er solle nicht unnötig herumtrampeln. Lars Olsson war fort. Peters sprach immer noch am Telefon. Wallander hätte einen Pullover gebraucht. Er müßte immer einen im Wagen haben. Wie er auch Stiefel im Kofferraum hatte. Es würde eine lange Nacht werden.
    Er versuchte sich vorzustellen, was geschehen war. Das locker gebundene Seil beunruhigte ihn. Er dachte an Holger Eriksson. Es konnte sein, daß der Mord an Gösta Runfelt ihnen die Lösung lieferte. Die weiteren Ermittlungen würden sie dazu zwingen, sich einen Doppelblick zuzulegen. Er mußte ständig nach zwei Seiten gerichtet sein. Aber Wallander war sich auch bewußt, daß es genau umgekehrt sein konnte. Die Verwirrung konnte zunehmen. Das Zentrum konnte immer schwerer zu bestimmen, die Landschaft der Ermittlungen immer komplizierter zu deuten und zu kontrollieren sein.
    Für einen Augenblick knipste Wallander die Taschenlampe aus und dachte im Dunkeln weiter nach. Peters war noch immer am Telefon. Bergman stand wie ein regloser Schatten irgendwo in |178| der Nähe. Gösta Runfelt hing tot in seinem locker gebundenen Seil.
    War dies ein Anfang, eine Mitte oder ein Ende? dachte Wallander. Oder haben wir es mit einem neuen Serienmörder zu tun? Ein noch schwieriger zu entwirrendes Ursachenknäuel, als wir es im Sommer hatten?
    Er hatte keine Antwort. Er wußte es ganz einfach nicht. Es war zu früh. Alles war zu früh.
    In einiger Entfernung hörte man Autogeräusche. Peters war zur Straße gegangen, um die anderen Einsatzwagen, die auf dem Weg waren, zu dirigieren. Wallander dachte flüchtig an Linda und hoffte, daß sie schliefe. Was auch geschah, er würde sie am Morgen zum Flugplatz fahren. Plötzlich überfiel ihn heftige Trauer über seinen toten Vater. Außerdem hatte er Sehnsucht nach Baiba. Und er war müde. Er fühlte sich ausgelaugt. Verflogen war all die Energie, die

Weitere Kostenlose Bücher